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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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Beinen hoch und stieß ihn weg. Er taumelte zurück, rutschte auf dem Schnee aus und fiel krachend zu Boden. Der Hut rollte ihm vom Kopf.
    Helen stieg rasch in ihren Pick-up, knallte die Tür zu und schloss ab. Gott sei Dank sprang der Motor sofort an. Er lag immer noch am Boden und hielt sich ächzend den Unterleib. Sie kurbelte das Fenster herunter.
    »Fassen Sie mich
nie
wieder an!«
    Sie trat aufs Gaspedal, und der Toyota brauste davon. Doch trotz des Schocks und der Wut fiel ihr plötzlich ein, was er einmal zu ihr gesagt hatte. Sie bremste, kam schleudernd zum Stehen und fuhr zurück, bis sie direkt aus dem Autofenster auf ihn herabsehen konnte.
    »Etwas wollen kann manchmal besser sein, als es zu bekommen, wissen Sie noch? Nehmen Sie also einfach an, ich hätte Ihnen einen Gefallen getan.«
    Sie gab Gas, und als sie anfuhr, wühlten die Hinterreifenfeuchten Schnee auf und spritzten ihn von oben bis unten voll.
    Schweigend beendeten sie ihr Abendessen. Das heißt, Luke aß, während Helen nur auf ihrem Teller herumstocherte. Eigentlich wollte sie nach dem Prozess etwas Frisches in der Stadt einkaufen, aber da sie es vergessen hatte, musste Luke die üblichen Nudeln kochen. Dazu gab es Thunfisch und Mais aus der Dose sowie etwas Käse. Er war noch immer kein besonders guter Koch, aber es schmeckte gar nicht so schlecht.
    Schon als sie zur Tür hereingekommen war, hatte er ihr angesehen, dass etwas nicht stimmte, doch sie sagte nichts, sondern wirkte nur abweisend. Vielleicht regte sie sich immer noch darüber auf, wie Abe sie am Tag zuvor im Gericht beschimpft hatte.
    Sie erzählte ihm nur von der Urteilsverkündung und der anschließenden Begegnung mit ihrem Holzfällerfreund. Luke wollte eigentlich mit ihr über seine Befürchtung sprechen, dass etwas Seltsames mit den Wölfen vor sich ging, aber jetzt schien nicht der richtige Augenblick dafür zu sein. Sie schob den Teller weg.
    »Tut mir leid«, sagte er, »war nicht so besonders.«
    »Nein, war schon okay. Ich habe nur keinen Hunger.«
    »Wenn ich auf die Uni gehe, belege ich auch einen Kochkurs.«
    Sie versuchte zu lächeln. Er stand auf, ging um den Tisch herum und stieg dabei über Buzz, der lang ausgestreckt an seinem gewohnten Platz vor dem Ofen lag. Er hockte sich neben sie und nahm ihre Hände.
    »Was ist los?«
    Sie schüttelte den Kopf, beugte sich zu ihm vor und küsste ihn auf die Stirn.
    »Erzähl’s mir.«
    Sie seufzte. »Luke, ich glaube, du solltest nicht mehr hier oben übernachten.«
    »W-W-Warum?«
    »Du weißt doch, was die Leute reden.«
    Er nickte. »Ich w-w-wusste nur nicht, dass du es weißt.«
    Sie lachte bitter. »O doch.«
    Sie erzählte ihm von den anonymen Telefonanrufen in Dans Büro. Luke überlegte, von wem sie kamen, wusste aber nicht, wer so gemein sein konnte.
    »Du willst also, dass wir uns nicht mehr sehen?«
    »Ach, Luke, ich weiß nicht.«
    »Wenn es dich unglücklich macht …«
    Sie streichelte sein Gesicht. »Ich könnte es nicht ertragen, ohne dich zu sein.«
    »Kann denn das, w-w-was andere Leute denken, unsere Beziehung beeinflussen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wie kann das sein?«
    »Es wird immer Menschen geben, Luke, die kaputtmachen wollen, was sie nicht verstehen oder nicht selbst haben können.«
    »Aber w-w-wenn du auf sie hörst, dann haben sie gewonnen.«
    Sie lächelte ihn an. Manchmal konnte sie ihn mit einem einzigen Blick daran erinnern, wie jung er noch war und wieviel er noch über das Leben lernen musste.
    »Ich liebe dich.«
    »Luke, bitte …«
    »Ist okay. Du b-b-brauchst es nicht auszusprechen.«
    »Als ich es das letzte Mal gesagt habe, ist der Kerl anschließend mit einer belgischen Tussi abgehauen.«
    »Ich kenne aber keine b-b-belgischen Tussis.«
    Fast hätte er sie zum Lachen gebracht.
    »Weißt du, ich kann sowieso ein paar Wochen lang nicht m-m-mehr kommen, ich muss meinem Vater helfen, wenn die Kühe kalben.«
    »Hat er mir schon gesagt.«
    »Du hast mit ihm gesprochen? Was hat er gesagt?«
    Sie zuckte die Achseln. »Nur das, sonst nichts.«
    Sie fanden den Wolf auf halber Höhe in der engen Schlucht, eingekeilt zwischen zwei Felsen. Seine Schnauze lag auf den Vorderpfoten, als wollte er jeden Augenblick losrennen. Seine Augen standen offen und waren zu einem stumpfen Gelb erstarrt. Sein Fell bedeckte eine dünne Decke aus Wassertröpfchen, die durch die Schlucht herabgewirbelt kamen. Es war schwer zu sagen, wie lange er schon tot war.
    Sie hatten das Signal kurz nach dem Morgengrauen

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