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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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Muttertieren zogen. Sie mussten laut lachen, wenn die kleinen Dinger versuchten, sich aufzurichten, und auf spindeldürren Beinen herumtorkelten.
    Als die Mädchen älter waren, ließ ihr Daddy sie manchmal mithelfen, selbst wenn sie am nächsten Tag früh zur Schule mussten und ihre Mom es ihnen verboten hatte. Er kam dann und holte sie, wenn Mom schlief, sagte ihnen, sie sollten sich warm anziehen und auf Zehenspitzen die Treppe hinunterschleichen.
    Kathy erinnerte sich daran, wie sie beide mal geweint hatten, als ein Kalb tot geboren wurde. Daddy hatte gesagt, sie sollten sich nicht so anstellen, so gehe Gott eben mit jenen um, die zu schwach für diese Welt seien.
    Ihre Mom hatte Krokuszwiebeln in einem Topf in der Küche gezogen. Die beiden Mädchen schnitten sämtliche Blüten ab und fuhren mit einem der Hilfsarbeiter im alten, roten John Deere zur Müllkippe. Zu dritt standen sie da, sagten ein Gebet für den armen, kleinen Leichnam und bestreuten ihn mit Krokussen. Als ihre Mom am nächsten Morgen entdeckte, dass sie alle Blumen geköpft hatten, war sie ziemlich sauer.
    Seit sie ins rote Haus gezogen war, gefiel Kathy die Zeit des Kalbens überhaupt nicht mehr. Jetzt bedeutete sie, dass Clyde mehr als einen Monat unten im Haupthaus der Ranch schlief und mit der Kälbertruppe in Schichten arbeitete. Kathy sah ihn nur noch, wenn sie zu ihrer Mutter fuhr,um ihr zu helfen, das Mittagessen für die Männer zu kochen, oder wenn er daheim vorbeischaute, um frische Wäsche abzuholen. Meist war er zu erschöpft, um sie auch nur richtig wahrzunehmen; andererseits erwartete er aber von Kathy, dass sie gleich mit ihm ins Bett ging, obwohl ihr überhaupt nicht danach zumute war.
    Seit mehr als einer Woche war er nun bei den Kühen. Sie langweilte sich und fühlte sich einsam, vor allem an den langen Abenden, wenn nichts im Fernsehen lief, was sie interessierte. Sooft sie daher Licht im Trailer des Wolfsjägers sah, dachte sie sich irgendeinen Vorwand aus, um ihn zu besuchen.
    Sie brachte ihm die Wäsche, die sie – darauf hatte sie bestanden – für ihn wusch, brachte ihm die Reste vom Mittagessen, eine Suppe etwa oder einige selbstgebackene Kekse. Und wenn das Baby wach war und nicht quengelte, nahm sie es mit, denn sie wusste, dass der Alte den Kleinen gern hatte.
    Natürlich war Mr. Lovelace nicht gerade das, was man sich unter einem idealen Nachbarn vorstellte. Als sie das erste Mal zu ihm ging, hatte er sie nicht mal hereingebeten, und als er es schließlich tat, stank es im Trailer wie in einem Schweinestall. Doch sie gewöhnte sich bald daran, weil sie das Bedürfnis hatte, mit jemandem zu reden. Und trotz seiner griesgrämigen Art hatte der alte Mann etwas an sich, das ihr gefiel. Vielleicht tat er ihr auch nur leid. Was immer es auch war, sie merkte ihm jedenfalls an, dass er sie nicht ungern sah.
    Er hatte einige Tage oben im Wald verbracht, und als er wieder zurück war, ließ sie ihm eine Weile Zeit, sich einzugewöhnen. Dann brachte sie ihm einen Teller Eintopf und Brot. Er löffelte das Essen hastig in sich hinein und wischte sogar noch mit dem Brot den Teller sauber.
    Kathy saß, Buck junior auf den Knien, auf einem hölzernen Schemel am schmalen Tisch, dessen Oberfläche so voller Flecken war, dass sie sich nicht vorstellen mochte, woher sie stammten. Der alte Mann schlang die Suppe gierig in sich hinein, fast wie ein Wolf, dachte sie. Das Licht der Lampe schnitt schroffe Kanten und Höhlen in sein faltiges Gesicht. Der kleine Buck saß ganz still da und folgte aufmerksam jeder Bewegung des Wolfsjägers.
    »Das hat gutgetan.«
    »Möchten Sie noch was? Ist noch genug da.«
    »Nein, Ma’am, ich bin satt.«
    Er goss sich einen Kaffee ein, ohne sie zu fragen, ob sie auch eine Tasse wolle, da sie sein Angebot bisher stets abgelehnt hatte. Die Tassen, aus denen er trank, sahen ziemlich unappetitlich aus. Schweigend saßen sie da, während er drei Löffel Zucker nahm und wie stets das Baby nicht aus den Augen ließ.
    Es war oft schwer zu beurteilen, ob er zum Reden aufgelegt war oder nicht. Manchmal sagte er kaum ein Wort, so dass Kathy die Unterhaltung ganz allein bestreiten musste. Schon bald wusste sie, welche Themen sie nicht ansprechen durfte. Einmal hatte sie den Fehler begangen, ihn nach seiner Frau zu fragen, und er hatte sofort zugemacht. Das gleiche passierte, als sie ihn fragte, wie viele Wölfe er schon gefangen habe.
    An anderen Tagen wieder sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus, als hätte

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