Im Kreis des Wolfs
Kälber waren mit Planen abgedeckt, und sie hatten sorgfältig Sperrholzplatten über die Spuren und den Kot gelegt, den die Wölfe als Visitenkarte hinterlassen hatten.
Zum Glück hatten sie diesmal nicht das Fernsehen angerufen, doch dafür machte sich Clyde Hicks nun selbst ans Werk. Seine Videokamera lief, sobald Dan und Bill Rimmer auf die Weide fuhren. Dan hatte zwar wie gewöhnlich seine eigene Kamera mitgebracht, um die Untersuchung des Kadavers zu filmen, doch Hicks wollte kein Risiko eingehen.
»Ihr Leute von der Regierung schneidet den Film doch so, wie ihr ihn haben wollt«, sagte er. »Also sorgen wir dafür, dass wir unsere eigenen Beweismittel haben.«
Offenbar hielt er sich für eine Art Künstler, denn immer wieder schwenkte er die Kamera, zoomte das Bild heran oder änderte den Blickwinkel, so dass er nicht nur die Untersuchung, sondern auch Dan filmte, wie dieser die Untersuchung filmte.
Calder begrüßte sie nicht mal. Sein Schweigen sagtemehr als alle Worte. Als er Dan im Büro angerufen hatte, um ihm zu sagen, was passiert war, listete er nur die nüchternen Tatsachen auf und fügte hinzu, dass er Helen Ross nicht sehen wolle. Dan rief sie an und hinterließ auf ihrer Mailbox eine entsprechende Nachricht.
Rimmer untersuchte nun das zweite Kalb auf der Ladefläche des Trucks. Die Biss- und Blutspuren ließen keinen Zweifel daran, dass das erste Kalb von einem oder mehreren Wölfen gerissen worden war.
Calder sah ihnen mit verschränkten Armen zu. Jetzt war nichts mehr von dem falschen Charme zu merken, den er bei ihren früheren Besuchen auf der Ranch hatte spielen lassen. Er sah blass und mitgenommen aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen, wie die meisten Rancher in der Zeit des Kalbens.
Dan wusste, dass etwas nicht stimmte, als Bill Rimmer verstummte. Am zweiten Kalb fand er Bissspuren, aber fast kein Blut. Er öffnete den Brustkorb des Tieres.
»Tja«, sagte er schließlich, »gefressen haben sie jedenfalls von diesem hier.« Er richtete sich auf und warf Dan einen Blick zu, bevor er sich zu Calder umdrehte. »Aber umgebracht haben sie das Kalb nicht.«
»Was?« sagte Calder.
»Das Kalb ist eine Totgeburt.«
Calder schaute ihn einen Augenblick an.
»Bei uns gibt es keine Totgeburten«, sagte er eisig.
»Nun, Sir, ich fürchte, dies hier ist eine. Die Lungen haben sich nicht geöffnet. Ich kann es Ihnen zeigen, wenn …«
»Verschwinden Sie von hier.«
Dan versuchte zu vermitteln. »Ich bin mir sicher, Sir, dass Sie als Entschädigung den vollen Marktwert für beide Tiere erhalten können. Die Tierschützervereinigung zeigt in solchen Dingen meist Verständnis …«
»Glauben Sie etwa, dass ich das Blutgeld dieser Leute will?«
»Sir, ich …«
»Verschwinden Sie endlich von meinem Grund und Boden.«
Luke hätte sich in dem Gewirr der Holzfällerwege beinahe verfahren, weil er nicht an der Ranch vorbei wollte, da er fürchtete, dass ihn jemand sah. Doch der einzige andere Weg führte durch den Wald.
Er hatte sich aufgemacht, nachdem Helen zurückgekommen war und ihm davon erzählt hatte. Es war Mittag, also würde Kathy unten im großen Haus sein und für die Kälbertruppe das Mittagessen kochen. Ihm blieb ungefähr eine halbe Stunde Zeit.
Endlich fand er den Weg, den er gesucht hatte. Er war schlammig und voller Schlaglöcher, und einmal musste er anhalten und einen umgefallenen Baum aus dem Weg räumen. Schließlich verriet ihm die Landschaft, dass er sich wahrscheinlich oberhalb von Kathys Haus befand. Er stellte den Wagen ab und ging den Rest des Wegs zu Fuß.
Von der oberen Wiese aus wirkte die Ranch verlassen. Ein silberner Trailer und ein alter, grauer Chevy standen versteckt hinter der Scheune. Luke wusste, dass sie weder Clyde noch Kathy gehörten. Als er an Princes Grab vorbeikam, schoss Maddie, die alte Colliehündin, bellend hinter dem Haus hervor. Sobald sie ihn erkannte, kam sie winselnd und schwanzwedelnd auf ihn zu. Während er sich bückte, um sie zu streicheln, schaute er sich aufmerksam um. Ihr Gebell schien niemanden alarmiert zu haben, alles blieb ruhig.
Um sicherzugehen, klopfte er an die Küchentür und schaute auch noch in der Scheune nach, aber es war niemand da. Daraufhin ging er rasch zum Trailer, klopfte anund drückte, als keine Antwort kam, die Klinke herunter. Die Tür war nicht verschlossen.
Er brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass dies wohl kaum die Behausung eines Schreiners war. Das verriet ihm schon der Geruch. Ein
Weitere Kostenlose Bücher