Im Kreis des Wolfs
Hai …«
»Oder einen ziemlich kleinen Kameramann.«
»Stimmt. Einen, der zugleich Gynäkologe ist.«
Später saß sie eingezwängt zwischen Joel und einem anderen Mann auf der Couch und fragte sich, ob ihm ebenso bewusst war wie ihr, dass sich ihre Körper aneinanderpressten. Seine Jeans hatte ein Loch, und sie musste immer wieder auf das Stückchen braune Haut starren, das durch den Riss hindurchschimmerte.
Der Typ, der das Video gedreht hatte – und ganz normal groß war –, erklärte ihnen den Ablauf des Films und berichtete, dass sich bei weiblichen Sandhaien nach der Paarung mehrere befruchtete Eikapseln in beiden Gebärmütterneinnisteten und sich dann rasch zu Embryohaien mitsamt Zähnen entwickelten. In jeder Gebärmutter wächst ein Hai heran, der stärker als die anderen ist und seine Geschwister tötet. Nur diese beiden überlebenden Haie werden geboren und beherrschen von Anfang an die Kunst des Tötens.
Währenddessen sahen sie die winzige Endoskopkamera wie ein Steadycam in einem billigen Horrorfilm durch die glitschigen, rosafarbenen Höhlen und Kanäle des Mutterhais gleiten, sahen eine trübe Brühe, in der die toten Babyhaie wirbelten, aber keine Spur vom Kind der Hölle, das sie getötet hatte. Doch dann tauchte plötzlich ein gelbes Auge auf, blickte direkt in die Kamera, und alle im Zimmer schrien entsetzt auf. Beim darauffolgenden Gelächter stellte Helen verlegen fest, dass sie Joels Arm umklammert hielt. Sie ließ ihn sofort los.
Hinterher stellte Bob ihr noch einige andere Leute vor, doch sie schaute immer wieder zu Joel. Und selbst wenn er sich angeregt unterhielt, erwiderte er ihren Blick und lächelte sie an. Als sie sich verabschiedeten, fragte er, ob sie schon mal Teufelskrabben gesehen habe. Sie verneinte. Er wollte wissen, ob er sie ihr zeigen solle, und sie antwortete viel zu schnell: ja, gern.
Eine Woche später waren sie ein Liebespaar, und eine Woche darauf bat Joel sie, bei ihm einzuziehen. Er sagte, ihm käme es so vor, als würde er sie schon ewig kennen, als wären sie »seelenverwandt«, und wenn sie mit ihm zusammenwohne, könnten sie den Winter über, Seite an Seite, an ihrer Doktorarbeit schreiben. Helen hatte in ihrem ganzen Leben noch niemand einen solch romantischen Vorschlag gemacht. Trotzdem sagte sie nein – und zog am nächsten Morgen ein.
Und beinahe wäre es ihr gelungen, Celia aus der Fassung zu bringen.
»Du willst bei ihm einziehen?«, fragte sie erstaunt und sah zu, wie Helen ihre Sachen packte.
»Natürlich.«
»Obwohl du ihn erst zwei Wochen kennst?«
»Schwesterherz, wenn ein Mädchen schon nicht den Richtigen findet, muss sie den nehmen, der gerade da ist.«
Seit der Scheidung ihrer Eltern war sie von einer üblen Affäre in die nächste gestolpert. Es waren nicht sehr viele gewesen, denn die meiste Zeit des Jahres hatte sie in der Wildnis verbracht. Sie schien sich instinktiv immer genau den falschen Mann auszusuchen. Es gab die eine oder andere Ausnahme, aber meist waren es Männer, denen mit Leuchtbuchstaben Dummkopf, Schwindler oder Scheißkerl auf die Stirn geschrieben stand, Männer, die sie nicht mochte und nicht begehrte, aber in deren Armen sie trotzdem landete.
Warum sie ein so schlechtes Händchen für Männer hatte, wusste Helen selbst nicht. Vielleicht setzte sie ihre Erwartungen zu niedrig an, weil sie ganz im Innern davon überzeugt war, dass kein attraktiver Mann sie interessant finden konnte. Allerdings schienen auch die unattraktiven Männer wenig an ihr zu finden, und nur selten machte Helen Schluss, außer sie wusste, dass er sich sowieso von ihr trennen wollte und sie ihm damit zuvorkam.
Normalerweise hielt sie durch, versuchte, das Beste aus der Beziehung zu machen, ertrug selbst die schlimmsten Typen und sehnte sich verzweifelt nach Anerkennung, bis die Kerle schließlich einfach verschwanden oder ihr irgendwann mit fadenscheinigen Argumenten den Laufpass gaben.
Mit keinem der Männer hatte sie je zusammengelebt. Als Joel daher seinen Vorschlag machte, löste dies bei ihr Panik aus. Noch Wochen danach wachte sie plötzlich nachts mitklopfendem Herzen und der Überzeugung auf, dass ihr dieser sanfte, blonde Mann, der leise schnarchend neben ihr lag, morgen sagen würde, es sei alles ein Versehen gewesen und sie möge doch bitte ihre Sachen packen, den Hund nehmen und verdammt noch mal aus seinem Leben verschwinden.
Aber das passierte nicht. Und nach einer Weile wurde sie ruhiger. Es kam ihr so vor, als wären sie
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