Im Kreis des Wolfs
Orten, nicht nur entlang der Wildpfade, wo man normalerweise einen Wolf vermuten konnte. Sie stellte sie oben auf dem Bergkamm und unten am Bach auf, auf offener Fläche und tief versteckt im Gebüsch.
Es half nichts.
Dann kam sie auf die Idee, dass die Fallen vielleicht zu neu waren oder zu sehr nach Metall rochen, also schleppte sie sie zur Hütte zurück, scheuerte sie mit einer Drahtbürste ab und kochte sie dann in Bachwasser und Holzaschesud. Anschließend rieb sie die Fallen sorgsam mit geschmolzenem Bienenwachs ein, hängte sie zum Trocknen in einen Baum und achtete stets darauf, sie nur mit Handschuhen anzufassen.
Es änderte nichts.
Dann fragte sie sich, ob es vielleicht an Buzz lag. Er begleitete sie meist auf ihren Wegen und markierte manchmal selbst die Stelle mit seinem Urin, wenn sie rund um die Falle den vom Wolf verspritzte. Als sie Rimmer davon erzählte,hatten sie es beide für einen guten Einfall gehalten. Eigentlich war es egal, wer in das Revier eines Wolfs eindrang, ob nun fremder Wolf oder kastrierter Hund, da deren Geruch auf jeden Fall seine Aufmerksamkeit erregte. Aber vielleicht verschreckten ihn ja Buzz’ Anstrengungen, und so hatte Helen ihn in letzter Zeit zu seinem Leidwesen in den Pickup oder in den Verschlag hinter der Hütte gesperrt. Sie gab sogar einige Tage lang das Rauchen auf, für den Fall, dass es der Zigarettenrauch war, der die Tiere abschreckte.
Doch wie zum Hohn blieben die Fallen leer.
Dabei konnte sie durchaus nicht darüber klagen, dass sie nichts zu tun hatte. Sie lud die Software des Geographic Information System, die Dan ihr mitgebracht hatte, auf ihre Festplatte und konnte sich jetzt die Karten der Gegend auf dem Bildschirm ansehen. Es gab Karten für die Wasserläufe, für Straßen oder für die diversen Vegetationstypen, und sie ließen sich in allen Varianten miteinander kombinieren. Sie trug nicht nur die genauen Positionen aller Fallen ein, sondern auch sämtliche Informationen, die sich vielleicht einmal als nützlich erwiesen, etwa die Spuren von Elchen, Rot- oder anderem Wild, das ein Wolf normalerweise jagte – sogar die Standorte des auf den Pachtweiden grasenden Viehs.
Sie wusste, wie wichtig es war, sich zu beschäftigen, um nicht ständig an Joel denken zu müssen.
Die Nächte waren am schlimmsten. Meistens dämmerte es bereits, wenn sie vom Überprüfen der Fallen zurückkehrte, und die dann folgenden Arbeitsgänge waren stets die gleichen. Wenn sich ihr Handy wieder aufgeladen hatte und sie eine Verbindung bekam, fragte sie die Mailbox ab und erledigte ihre Anrufe. Den Versuch, sich in den E-Mail-Server einzuloggen, hatte sie schon beinahe aufgegeben. Da das Handy analog geschaltet war, dauerte dasHerunterladen vom Internet unerträglich lang, für eine einzige Seite brauchte sie fast fünf Minuten.
Jedes Mal wenn sie die Anrufe abhörte, hoffte sie auf eine Nachricht von Joel. Doch anfangs waren es stets nur Dan oder Bill Rimmer, die anriefen, weil sie wissen wollten, ob sie mit den Fallen bereits Erfolg gehabt hatte. Später meldeten auch sie sich nicht mehr, als sei es ihnen peinlich, immer die gleiche Antwort zu bekommen. Gelegentlich ließ Celia oder ihre Mutter von sich hören, und Helen nahm sich meist die Zeit, sie zurückzurufen.
Dann fütterte sie Buzz, gönnte sich eine Dusche, machte sich etwas zu essen und verbrachte den Rest des Abends am Computer, schrieb oder las. Doch wenn es dunkel wurde und Schweigen sich über den Wald senkte, durchbrochen allein vom Schrei einer Eule oder eines sterbenden Tieres, fiel es ihr immer schwerer, die Erinnerung an Joel in Schach zu halten.
Sie hatte versucht, sich mit Musik abzulenken, doch was immer sie auflegte, ließ sie erst recht an ihn denken. Sie hörte seine Schritte im Zischen der Coleman-Laternen oder im Flattern der Insekten, die gegen die Fliegengitter prallten. Wenn sie es nicht mehr aushielt, ging sie hinunter zum See, wo sie sich ins Gras setzte, schluchzend eine Zigarette rauchte und sich selbst und ihn und die ganze vermaledeite Welt verfluchte.
Und wenn die Sonne am nächsten Tag wieder aufging, nahm sie sich vor, etwas an ihrem abendlichen Programm zu ändern.
Also versuchte sie es erneut mit dem Wolfsgeheul und wanderte den Cañon hinauf, doch es war hoffnungslos, schlimmer noch als am ersten Abend am See. Ihr gelangen ein paar ganz passable Rufe – auf die sie natürlich keine Antwort erhielt –, und dann begann sie zu weinen.
Ihre Ausflüge in die Stadt waren
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