Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
Vom Netzwerk:
sich die Tiere um, liefen gemächlich davon, und gleich darauf waren ihre weißen Spiegel zwischen den Bäumen verschwunden.
    Helen stellte den Wagen neben der Hütte ab, und während Buzz schnuppernd umherlief, lehnte sie sich an die Kühlerhaube und schaute zum Himmel hinauf. Es war kein Mond zu sehen, dafür leuchteten die Sterne um so mehr. Noch nie hatte sie einen derart strahlenden Himmel gesehen. Es ging kein Wind, und Kieferngeruch erfüllte die Luft.
    Helen atmete tief ein und musste husten. Keine Frage, sie würde mit dem Rauchen aufhören. Für immer. Sie wollte sich nur noch diese eine Zigarette anstecken, und das würde die letzte sein. Die allerletzte.
    Sie zündete sich die Zigarette an, ging am Bach entlang und stellte überrascht fest, dass allein das Licht der Sterne ausreichte, einen Schatten zu werfen. Am Uferrand lag auf einem kurzen Kiesstreifen ein Holzboot, das man früher vermutlich zum Fischen benutzt hatte, das inzwischen aber längst verrottet und von Binsen überwuchert war. Sie prüfte, ob die Sitzplanke im Boot ihr Gewicht aushielt, und setzte sich darauf, um ihre letzte Zigarette zu rauchen und das Spiegelbild des Himmels im glasklaren Wasser zu betrachten.
    Hin und wieder hörte sie Buzz weiter oben im Wald herumstöbern, und einmal glaubte sie, den schweren Tritteines größeren Tiers wahrzunehmen. Sonst war alles still; kein Frosch quakte, keine Insekten schwirrten, als schwiege die Welt in dieser Nacht aus Ehrfurcht vor dem Himmel. Im Wasser spiegelte sich eine Sternschnuppe. Seit ihrer letzten Nacht auf dem Cape hatte sie keine mehr gesehen, also schloss sie die Augen und wünschte sich wie damals gleich drei Dinge statt einem, nämlich, dass Joel gesund war, wie versprochen zu ihr zurückkehrte und, woran sie am meisten zweifelte, wieder mit ihr zusammensein wollte.
    Sie stand auf und drückte die Glut der Zigarette aus. Dann steckte sie den Stummel in die Tasche. Schon verrückt, dachte sie, da machte sie sich nun mehr Sorgen um die Umwelt als um ihre Raucherlunge.
    Morgen wollte sie ein neues Leben beginnen und sich auf die Suche nach dem Wolf machen. Sie fragte sich, wo der sich wohl gerade herumtrieb. Bestimmt war er auf der Jagd, die feuchte Nase in die Dunkelheit gereckt, die gelben Augen wachsam. Oder er schlich wie ein Schatten durch das Unterholz.
    Vielleicht sollte sie heulen wie ein Wolf und warten, ob sie Antwort erhielt. Dan hatte immer behauptet, dass sie so gut heulte wie sonst niemand und kein Wolf in ganz Minnesota ihrem Ruf widerstehen könnte. Aber sie hatte seit Jahren keinen Wolfsruf mehr nachgeahmt, und obwohl ihr Publikum nur aus Buzz bestand, fühlte sie sich irgendwie gehemmt. Aber dann dachte sie, was soll’s, räusperte sich und legte den Kopf in den Nacken.
    Sie war so sehr aus der Übung, dass ihr erster Versuch völlig missglückte. Sie klang wie ein Esel mit Halsschmerzen, und auch beim zweiten Mal war sie nicht viel besser. Dann, beim dritten Versuch, klappte es: der tiefe Ansatz, danach der sich langsam ausweitende, klagevolle Anstieg, der schließlich in der Nacht verklang.
    Falls ein Wolf sie gehört hatte, gab er keine Antwort.
    Sie erhielt nur ein Echo aus irgendeinem entlegenen Winkel der Berge, doch der Laut ließ Helen schaudern. Denn sie vernahm in ihm das Klagelied ihrer eigenen, trauernden Seele.

HERBST
    12
    Sie erreichten den Bergrücken und blieben zwischen den mächtigen, mit Flechten bewachsenen Felsen stehen, schirmten ihre Augen vor der Sonne ab und blinzelten in den gewundenen Cañon, der unter ihnen lag. Helen hörte das Rauschen des Bachs und sah ihn an einigen Stellen zwischen Weiden und Erlen, die den Cañon säumten, durchblitzen. Sie schwang den Rucksack von den Schultern und griff nach der Wasserflasche.
    Das letzte Stück des Anstiegs war ziemlich steil gewesen, und sie schwitzte in der warmen Mittagssonne, doch hier oben wehte immerhin eine leichte Brise, die den vom Rucksack hinterlassenen Schweißfleck auf ihrem T-Shirt trocknete. Helen trank einen Schluck und reichte die Flasche dann Bill Rimmer, der mit einem Kopfnicken zur anderen Seite des Cañons wies. Helen folgte seinem Blick und sah eine Herde Dickhornschafe, die, wie zu Statuen erstarrt, zu ihnen herüberspähte.
    Es war drei Wochen her, seit die Fallen ausgelegt worden waren. Dan hatte sie in seiner Cessna mitgenommen, um ihr einen Eindruck von der Landschaft zu vermitteln. Sie hatten keinerlei Funksignal empfangen. Am folgenden Tag waren Helen und Rimmer

Weitere Kostenlose Bücher