Im Kreis des Wolfs
verlieren.«
»Kann ich mir denken.«
»Da bin ich mir nicht so sicher, ist aber trotzdem so.«
»Aber Sie wissen ja, Abe, wenn Sie die Wölfe abschießen und dabei erwischt werden, können Sie in ziemliche Schwierigkeiten geraten. Vielleicht sogar in den Knast wandern.«
Abe spuckte einen Mundvoll schwarzen Saft ins dürre Gras.
»Scheißregierung. Verpachtet dir Land, nimmt dir dein Geld und lässt dann diese Viecher los, die dir deine Rinder reißen.«
»Und dann werfen sie einen ins Gefängnis, wenn man es beschützen will. Ergibt nicht viel Sinn, was?«
Abe gab keine Antwort, kniff einfach nur die Augen zusammen und blickte über den Jahrmarkt zur Bühne, auf der die Band ihre Anlage aufbaute.
»Jedenfalls treiben wir früh zusammen und bringen dieHerde runter, damit wir sie im Auge behalten können. Und ich habe mich gefragt, ob Sie uns nicht vielleicht einen Arbeiter zur Aushilfe rüberschicken könnten.«
»Natürlich, gern.«
»Danke.«
»Nichts zu danken.«
»Ich sag Ihnen, wenn eins fehlt, dann ist die Hölle los.«
Luke war bloß zum Jahrmarkt gekommen, weil er es seiner Mutter versprochen hatte. Er wollte nicht lange bleiben. Rikki Rain and the Ragged Wranglers lieferten ihm einen guten Grund, möglichst bald wieder zu verschwinden. Sie spielten jetzt schon seit einer Stunde, aber es kam ihm viel länger vor. Ein weiterer Grund war der, dass Luke gerade einige Mitschüler aus seiner Abschlussklasse entdeckt hatte, darunter auch Cheryl Snyder, hinter der er während des ganzen letzten Schuljahrs hergewesen war.
Ihrem Vater gehörte die Tankstelle. Sie war eines der nettesten und hübschesten Mädchen der Schule, weshalb sie auch meist von den schlimmsten Typen umschwärmt wurde. Vier von denen spielten sich gerade jetzt am Zelt des hellsehenden Medizinmanns vor ihr und ihrer Freundin Tina Richie auf.
Mit zwei Flaschen Mineralwasser für Ruth und seine Mutter, die gerade einpackten, was sie nicht verkauft hatten, war Luke unterwegs zum Paragon-Stand. Cheryl und die anderen schienen ihn nicht zu bemerken. Er wollte gerade zwischen den Ständen hindurchschlüpfen und verschwinden, als er ihre Stimme hörte.
»Luke! He, Luke!«
Er drehte sich um und tat, als sei er überrascht. Cheryl winkte, und Luke hielt die Mineralwasserflaschen hoch, um anzudeuten, dass er nicht zurückwinken könne; gleichzeitigfragte er sich, ob diese Geste ausreichte, um sich verdrücken zu können. Doch sie kam schon auf ihn zu, während die anderen hinter ihr herschlenderten. Sie trug Bluejeans und ein bauchfreies pinkfarbenes Top. Luke musste wieder an die Silvesterparty vor einigen Jahren denken, als er sie, als einziges Mädchen bisher, geküsst hatte – für sein Alter eine recht magere Bilanz.
»Hi, Luke, wie geht’s dir?«
»Oh, hi, Ch-Ch-Cheryl. Mir g-g-g-geht’s gut, danke.« Tina und die anderen gesellten sich zu ihnen. Luke lächelte und nickte ihnen zu. Sie erwiderten sein Lächeln und grüßten ihn mit unterschiedlich großer Begeisterung.
»Ich hab dich den ganzen Sommer noch nicht gesehen«, sagte Cheryl.
»Na ja, ich habe auf der Ranch g-g-gearbeitet, weißt du. H-h-hab meinem D-D-Dad geholfen.«
Wenn er stotterte, suchte er in ihren Augen nach einem Anzeichen von Belustigung, Verlegenheit oder auch Mitleid, was bei weitem das schlimmste war. Mit den ersten beiden Reaktionen wurde er fertig.
»Hey, Cooks, wir haben dich im Fernsehen gesehen, als der Wolf sich den Hund von deiner Schwester geschnappt hat«, sagte Tina. Einer der Jungen, ein Großmaul mit Namen Jerry Kruger, stieß ein komisches Heulen aus. Er hatte Luke das Leben in der Highschool eine Zeitlang zur Hölle gemacht, bis Luke ihn eines Tages auf dem Schulhof k.o. geschlagen hatte. Lukes Ansehen war daraufhin ziemlich gestiegen. Seine Fäuste hatte er seither nie wieder einsetzen müssen.
»Habt ihr ihn noch mal gesehen?«, fragte Cheryl.
»Den Wolf? Nein. W-W-Wahrscheinlich ist er längst w-w-weitergezogen.«
»Zu schade«, sagte Kruger. »Tina hatte gehofft, ein bißchenRotkäppchen mit ihm spielen zu können. ›Ach, Großmutter, was hast du nur für große Möpse!‹«
»Wann wirst du bloß endlich erwachsen, Jerry?« sagte Cheryl.
Niemand wusste darauf etwas zu sagen, und eine Weile standen sie da und hörten der heiseren Stimme von Rikki Rain zu. Luke hielt die Flaschen hoch.
»Ich m-m-mach mich besser auf den W-W-Weg.«
»Okay«, sagte Cheryl. »Bis später dann.«
Sie verabschiedeten sich. Als er weiterging,
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