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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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gewesen, dabei hatte sie ihm mindestens fünf- oder sechsmal geschrieben. Vielleicht waren ihre Briefe nicht angekommen. Oder er konnte nicht schreiben, weil es dort, wo er sich aufhielt, Schwierigkeiten mit der Post gab.
    Die letzten Briefe, die sie ihm geschickt hatte, waren bewusst in fröhlichem Ton gehalten. Sie beschrieb die Umgebung, erzählte vom Tagesablauf und witzelte darüber, dass es ihr immer noch nicht gelungen war, einen Wolf zu fangen. Doch manchmal fragte sie sich, ob nicht doch ohne ihr Wissen ein Hauch ihrer wahren Gefühle, ihrer Einsamkeit, der schmerzenden Leere, die er in ihr hinterlassen hatte, Eingang in die Briefe gefunden hatte.
    Buzz schaute traurig vom Pick-up herunter, als sie den Deckel ihres Briefkastens öffnete. Er war leer.

14
    Er hatte sie seit ihrer Ankunft beobachtet.
    Sogar in jenen ersten Tagen, als Dan Prior ihr half, die Sachen abzuladen und die Hütte in Ordnung zu bringen. Und auch am nächsten Abend, als sie spät zurückkam, unten am Wasser eine Zigarette rauchte und dieses unglaubliche Heulen von sich gab. Er hatte im Schutz der Bäume am anderen Seeufer gestanden, wo er auch jetzt stand, und inständig gehofft, dass ihr kein Wolf antwortete.
    Er kam nicht jeden Abend her, und er blieb nie lange. Manchmal sah er nur ihren Schatten, der sich riesengroß an den Wänden der erhellten Hütte abzeichnete. Wenn er weiter nördlich am Waldrand entlangging und sich näher heranwagte, konnte er bisweilen durch die offene Tür einen flüchtigen Blick auf sie erhaschen, wie sie am Telefon mit jemandem sprach oder an ihrem Tisch saß mit all ihren Karten und dem Computer.
    Einmal war er auf einen trockenen Ast getreten, und das Geräusch ließ den Hund anschlagen. Sie kam an die Tür, und er erstarrte vor Schreck, aber sie hatte ihn nicht entdecktund ging wieder hinein. Seither war er vorsichtiger, und wenn der Wind aus der falschen Richtung wehte, kam er überhaupt nicht her, damit der Hund nicht seine Witterung aufnahm.
    Luke versuchte sich einzureden, dass er ihr nicht nachspionierte. Schließlich war er kein Spanner. Er wollte nur verhindern, dass sie seine Wölfe fand. Genauso, wie man im Krieg wissen musste, was der Feind trieb. Doch je mehr Zeit verstrich, desto schwerer fiel es ihm, dies selbst zu glauben.
    Sie wirkte so traurig. Wie sie ans Wasser kam und am See saß, weinte und rauchte, als wollte sie sich mit Zigaretten umbringen. Am liebsten wäre er zu ihr gegangen, hätte sie in den Arm genommen und ihr gesagt, dass sie damit aufhören sollte und dass alles in Ordnung war.
    Und an dem Abend, an dem sie sich plötzlich ausgezogen hatte und ins Wasser gegangen war und er geglaubt hatte, sie wolle sich ertränken, hätte er fast gerufen. Aber er war stumm geblieben, denn wie sich herausstellte, wollte sie nur eine Runde schwimmen. Der Hund war hinterhergesprungen, und sie hatten zusammen herumgetobt. Er hatte sie zum ersten Mal lachen hören. Im Dunkeln konnte Luke ihren Körper nur undeutlich sehen, doch das reichte, um ihm das Gefühl zu geben, ein Spanner und Perverser zu sein. Also war er sofort gegangen und hatte sich geschworen, endlich damit aufzuhören.
    Tat er aber nicht.
    In der vorletzten Nacht hatte er von ihr geträumt. Er lag auf dem Hügelkamm über der Wiese, wo die Wölfin im Frühjahr geworfen hatte. Irgendwie sah es dort anders aus, aber die Wölfe waren da, die Alten und die Welpen, und sie hockten im Kreis wie auf diesem Bild aus jener alten Ausgabe des
Dschungelbuchs,
die er als Kind so geliebt hatte. Dann sah er, dass die Frau auch mit im Kreis saß, dass siedazugehörte. Und sie blickte zu ihm hinauf und rief seinen Namen und fragte ihn, warum er ihnen nachspioniere. Sie klang nicht wütend, wollte es nur wissen. Er erhob sich und versuchte, ihr zu sagen, dass er ihnen nichts Böses wollte, dass er sich wünschte, auch dazuzugehören, aber er war wie blockiert. Die Worte kamen einfach nicht über seine Lippen. Und die Frau und die Wölfe starrten ihn bloß an. Dann war er aufgewacht.
    Irgendwo hinter sich im Wald hörte er den Schrei einer Ohreule. Er drehte sich um, doch es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnten, nachdem er so lange in die erhellten Hüttenfenster gestarrt hatte. Die Eule saß nur wenige Schritte entfernt zwischen den unteren, abgestorbenen Ästen einer Tanne und musterte ihn aus weit aufgerissenen, goldenen Augen. Sie war so nah, dass er die Tigerstreifen auf ihrer Brust erkennen konnte.

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