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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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sich durch den Wald hinauf zu jenem See schlängelte, an dem Helens Hütte lag. Buck hielt es für sinnvoll, dort nach Luke zu suchen. Selbst wenn er nicht da war, konnten sie ihm an der Tür eine Nachricht hinterlassen, dass er sich gefälligst zu Hause blicken lassen sollte. Der Junge hatte einiges zu erklären. Hoffentlich fiel ihm ein guter Grund ein, warum er die Herde im Stich gelassen hatte.

17
    Luke wartete neben dem Pick-up und sah ihr zu, wie sie langsam den Weg abschritt. Über dem Kopf drehte sie die H-förmige Antenne, während sie gleichzeitig sämtliche Frequenzen auf dem kleinen Empfänger abhörte, der in einer Ledertasche über ihrer Schulter hing. Buzz beobachtetesie vom Beifahrersitz aus und hatte die Ohren gespitzt, als wüsste er, was sie in ihrem Kopfhörer zu hören hoffte.
    Der Wagen stand am Holzfällerweg, der sich halsbrecherisch die Südseite des Wrong Creek, einem baumbestandenen Cañon, heraufschlängelte. Luke schaute über den Rand des Weges in den dicht mit Douglastannen bewachsenen Abgrund. In dreißig Meter Tiefe konnte er den Bach rauschen hören. Diese Seite des Cañons lag noch im Schatten, und die Luft war kühl und feucht. Eine halbe Meile weiter breitete sich ein Sonnenstreifen aus, der die gelben Blätter der Erlen aufleuchten ließ.
    Sie hatten anderthalb Tage gebraucht, um sämtliche Fallen umzusetzen, und wollten sie jetzt überprüfen. Wrong Creek war der nächstgelegene, in nördliche Richtung verlaufende Einschnitt in den Bergen, und Luke war sich ziemlich sicher, dass die Wölfe hier gewesen waren, als er sie heulen hörte. Jedenfalls war er gleich mit Helen Ross heraufgekommen, war in ihrem rostigen alten Wagen so nahe wie möglich herangefahren und dann den Creek entlang in die Berge hinauf gewandert.
    Fast sofort hatten sie frischen Wolfskot und Spuren gefunden. Ein Schwarm Raben führte sie dann zum Kadaver des alten Elchbullen. Es war zwar nicht mehr viel Fleisch übrig, aber Helen vermutete, dass die Wölfe noch mal zurückkehren würden. Sie zog dem Elchbullen einige Zähne aus dem Kiefer, die sie zur Altersanalyse einschicken wollte. Dann erklärte sie Luke, dass man das Alter des Tiers wie bei einem Baum an den Ringen des durchgesägten Zahns erkennen könne. Anschließend sägte sie selbst einige Knochenstücke durch und meinte, an der Art, wie das Knochenmark sich zu Gelee verformt habe, könne sie erkennen, dass der Bulle in ziemlich schlechter Verfassung gewesen sei.
    Die Fallen aufzustellen war harte Arbeit gewesen, dochLuke genoss jede Minute davon. Helen hatte ihm gezeigt, wie man die Fallen eingrub, und ihm alles Nötige erklärt. Man muss die Falle vergraben, sagte sie, damit der Wolf glaubt, er sei zufällig auf den Futtervorrat eines anderen Tiers gestoßen. Der beste Platz dafür war auf der Windseite des Wegs, damit er Witterung aufnahm, wenn er daran vorbeikam. Zuerst roch er den vergrabenen Köder – der stank so widerwärtig, dass man eigentlich glauben sollte, er würde Reißaus nehmen –, dann nahm er über Kot und Urin die Witterung von einem fremden Wolf auf, so dass er einen Eindringling vermutete.
    Jetzt war sein Interesse geweckt, doch musste man dafür sorgen, dass ihm nur ein einziger leichter Zugang blieb, wenn er noch gründlicher schnuppern wollte. Die wahre Kunst, sagte sie, lag darin, ihn genau dorthin zu locken, wo man ihn haben wollte. Also wurden Stöcke und Steine ausgelegt, über die er hinwegklettern musste, so dass er schließlich direkt ins Tellereisen trat.
    Nachdem am Nachmittag zuvor alle Fallen aufgestellt worden waren, hatte er ihr den Treffpunkt der Wölfe und die Höhle gezeigt. Als sie davor standen, holte sie ihre kleine Stirnlampe und ein Maßband und verschwand wie ein Höhlenforscher in dem Loch. Sie war so lange fort, dass er schon begann, sich Sorgen zu machen. Doch dann tauchte sie mit den Stiefeln voran wieder auf, schlängelte sich rückwärts heraus und reichte ihm ganz aufgeregt die Stirnlampe.
    »Jetzt sind Sie dran.«
    Luke schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich k-k-kann …«
    »Jetzt machen Sie schon, keine Angst.«
    Also gab er ihr seinen Hut und ließ sich ins Loch gleiten. Der Gang führte etwa drei Meter tief direkt in den Berg hinein und war so eng, dass er die Schultern einziehen und sich mit den Schuhspitzen vorwärts schieben musste.
    Im Licht der Lampe sahen die Wände fahl und glatt aus, als seien sie aus Ton. Er hatte erwartet, dass die Luft hier drinnen abgestanden und modrig sein

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