Im Kühlfach nebenan
einer Schüssel mit
Wasser stand.
»Martin, wir haben bisher in eine vollkommen falsche Richtung gedacht. Das Kloster ist ein Nuttenasyl.« »Ach was«, sagte er,
aber ich hatte den Eindruck, dass er gar nicht richtig zugehört hatte. »Martin, da hocken vierzehn Tussen im sogenannten Noviziat,
die sind so heiß, dass die Holzkreuze über dem Bett schon halb verkohlt sind.« Jetzt unterbrach er seine Hantiererei mit Batterien
und Bedienungsanleitungen und schaute in die Richtung, in |176| der er mich vermutete. »Und was, bitte schön, machen die da?«
Ich seufzte und schickte ihm ein kleines Filmchen, in dem ein prügelnder Zuhälter, eine heulende Nutte und eine rettende Klosterpforte
die Hauptrolle spielten. Er war bestürzt. Und: Er dachte sofort einen Schritt weiter. Immerhin ist er ein Doktor der Rechtsmedizin.
In diesem Job ist man gut, wenn man anhand einer Verletzungsdiagnose rekonstruieren kann, was dem Opfer passiert ist.
Martin dachte an Marthas Obduktion und die alten Verletzungsspuren. Seine Gedanken malten ein grausiges Bild. Ein Fausthieb
trifft Marthas Wangenbein und schlägt ihr die Zähne aus. Als sie die Arme hochreißt, um den Kopf zu schützen, brechen die
Knochen unter der Wucht wie Glas. Sie fällt. Am Boden liegend geben einige Tritte ihren Rippen den Rest.
»Martha auch?«, fragte ich fassungslos. Martin seufzte. »Ich vermute es. Die Art ihrer Verletzungen lässt jedenfalls auf einen
extrem brutalen Schläger schließen. Das war kein Streit unter Gleichen, da war ein Profi am Werk.«
»Aber Martha war doch wirklich eine Nonne, oder?« Martin nickte. Er hatten den ganzen Papierkram der Obduktion erledigt und
sich, präzise, wie er nun mal ist, das meiste davon auch gleich gemerkt. »Ja, sie trug ihren Ordensnamen schon seit ein paar
Jahren. Sie hat wohl Gefallen gefunden am Klosterleben. War vermutlich eine gute Alternative zu dem Leben, das sie früher
geführt hat.«
Na, heute war aber wirklich der Tag der großen Überraschungen. Ein Kloster entpuppt sich als Nuttenbunker, eine Nutte schwört
der Welt ab und wird Nonne. Ich war mir nicht sicher, ob ich heute weitere Überraschungen verkraften konnte. Daher betrachtete
ich Martins Kartons |177| und Schachteln mit einem echt üblen Gefühl. Aber wenn wir unsere Ermittlungsstrategie überarbeiteten, hätte er sowieso keine
Zeit für irgendeinen physikalischen Firlefanz.
»Martin, wir müssen einen Spion ins Kloster einschleusen«, sagte ich und erzählte ihm von der Tussi, die offenbar ihrer Mama
verraten hatte, wo sie sich aufhielt. »Na und?«, fragte Martin. Manchmal, wenn Ursache und Wirkung nicht so direkt zusammenhängen
wie eine Enthauptung und der Eintritt des Todes, ist er wirklich schwer von Begriff. »Wir müssen wissen, wann sie ihrer Mama
verklickert hat, wo sie sich aufhält. Außerdem müssen wir wissen, wer ihr Zuhälter ist. Und dann müssen wir von der Mama erfahren,
ob sich vielleicht ein netter Mann bei ihr gemeldet hat, der dringend wissen wollte, wo das liebe Töchterlein abgeblieben
ist.«
Martin dachte nach. »Dann geben wir der Polizei einen Tipp und die bringen das in Erfahrung.« Himmel, er hatte immer noch
nicht kapiert, dass wir es hier nicht mit Medizinstudentinnen zu tun hatten, sondern mit Nutten. Von denen mindestens die
Hälfte vermutlich nicht in Deutschland geboren war, sich offiziell gar nicht hier aufhielt und schon allein deshalb mit der
Polizei nicht reden kann. Oder will. Jedenfalls nicht reden wird.
»Ja, aber …«, sagte Martin. Ich machte es kurz. »Birgit.« »Keinesfalls.«
»Sie ist unsere einzige Chance.« »Nein.«
»Martin, sie ist schlau, sie sieht nicht aus wie eine Polizistin, sie wird in null Komma nix die Namen von der |178| Mama und dem Zuhälter wissen und den Rest erledigt die Polizei.«
»Aber …«
Aha, immerhin schon kein eindeutiges Nein mehr. »Sie geht morgen früh, am helllichten Samstag, zur Pforte, gibt sich als verfolgte
Nutte aus, lässt sich einquartieren und ist vor dem Mittagessen wieder draußen. Sie muss dort nicht schlafen. Es ist völlig
ungefährlich. Aber ohne diese Information drehen wir uns im Kreis und die Bullen kommen nie darauf, was in dem Kloster noch
vor sich geht.«
Es klingelte.
Martin öffnete die Tür. Als Birgit durch den Flur ging, flackerte kurz das Licht. In Martins Hirn blitzte der Gedanke auf,
dass er die Empfindlichkeit seiner kapazitiven Feldänderungsüberwachung
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