Im Kühlfach nebenan
verschwunden.
»Ach, ein Kompliment?« Baumeister wandte sich der Dame sichtlich geschmeichelt zu. »Ich war in Belgien. In Deigné. Sie wissen
genau, was jetzt kommt, oder? Das haben Sie doch bestimmt schon hundertmal gehört.« Sie zwinkerte dem Bauheini, der sie um
mindestens einen Kopf überragte, auf eine Art zu, die wohl sexy sein sollte. Oder kokett, falls man das in diesen Kreisen
so nennt. Wäre es vielleicht auch gewesen, wenn nicht bei jedem Lidschlag ihr Doppelkinn mitgeschwabbelt hätte, als gäbe es
eine direkte Verbindung von den Fettrollen am Hals zu den Sehdeckeln.
»Das ›Hôtel du Cloître‹ ist ein Gedicht. Ein Märchen. Der Himmel auf Erden.« Baumeister lächelte etwas angestrengt. »Ja, danke.
Das ist sehr freundlich von Ihnen.« »Nein, wirklich. Da haben Sie ein Wunder vollbracht. Ssssüperp.«
Bei dem französisch angehauchten Zischlaut versprühte sie ihren Speichel auf Baumeisters Hemd. »Schön, wenn es Ihnen gefallen
hat.« Sein Blick ging über ihre Schulter zu Susanne Gröbendahl, die sich mit erhobenem Kinn näherte. »Frau Gröbendahl, guten
Tag«, begrüßte Baumeister sie zuvorkommend. Nanu, hier kannte aber wirklich jeder jeden. »Guten Tag, Herr Baumeister. Sagen
Sie, hatten wir nicht eine Vereinbarung betreffend der Zeiten, zu denen die schweren Laster nicht durch unsere ruhigen Straßen
fahren?« Ihre Stimme war genauso spitz wie ihre Nase, die unter dem Hütchen hervorstach.
|168| »Selbstverständlich, Frau Gröbendahl, selbstverständlich. Ich habe schon gehört, dass der Baustofflieferant sich nicht an
die Vereinbarung gehalten hat, und habe ihn schriftlich darauf hingewiesen, dass ich sein Verhalten nicht tolerieren kann.
Wenn das noch mal vorkommt, werde ich das Material woanders bestellen.«
Ich hörte wohl nicht recht. Dieses Gespräch verlief ganz anders als alle derartigen Gespräche, die ich kannte. In meiner Welt
begann morgens um sieben ein Presslufthammer zu dröhnen, man riss das Fenster auf, brüllte »Mach deinen Dildo aus, sonst ramme
ich dir den in die Schattenseite deiner jämmerlichen Erscheinung!«. Der Typ am Hammer zeigte den Stinkefinger und das war’s.
Hier lief das irgendwie unerwartet ab. Ob das am offenen Grab von Marlene oder an der besonders christlichen Einstellung des
Herrn Baumeister lag, blieb mir verborgen.
»Dann will ich hoffen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Wir haben genug Ärger mit allem hier«, schob die Gröbendahl hinterher,
drehte sich um und stöckelte davon.
»Nehmen Sie sie nicht so ernst«, raunte der fette Groupie dem Baumeister zu. »Sie hat eine Brustvergrößerung hinter sich,
dann eine Affäre mit ihrem Schönheitschirurgen angefangen und jetzt hat sie Probleme in der Ehe. Da werden manche Frauen grantig.«
Nanu? War Rolf zum Berg etwa der Tittenklempner der süßen Suse? Erst beriet er sie bei Form und Größe der Silikonpölsterchen
und dann ordnete er eine Runde Testsex an, damit er die Dinger unter realistischen Bedingungen probeweise begriffeln konnte?
War das nun abartig oder cool?
Während ich noch versuchte, mich zwischen Natürlichkeit oder Prallfaktor von Hupennippel zu entscheiden, wurde Baumeister
von der Oberin erlöst, die ihn von dem |169| schwabbeligen Puddingmonster wegholte und zur Besprechung ins Kloster bat. Er atmete sichtlich auf.
Mir war dieser ganze Kram hier zu blöd. Nirgendwo wird so viel gelogen wie an einem offenen Grab, daher war ich mir gar nicht
mehr so sicher, ob diese Veranstaltung für unsere Zwecke nützlich sein konnte. Außerdem war Marlene schon wieder weg. Warum
war ich eigentlich hier der Einzige, der die Sache ernst nahm und vorantrieb? Martin machte nur auf permanentes Drängen hin
mit, und das auch noch ungern. Marlene, die das größte Interesse an der Aufklärung der Morde haben müsste, war dauernd mit
irgendwelchen anderen Dingen beschäftigt oder völlig unauffindbar. Wie jetzt wieder. Ich musste jetzt wirklich mal ein ernstes
Wort mit ihr reden und machte mich auf den Weg in die Kirche. Sie konnte eigentlich nur dort sein. Natürlich hatte ich recht.
Marlene schwebte vor dem großen Kreuz, das über dem Altar hing, und redete mit dem lieben Jesulein. »… gerade ich? Ich will mich natürlich nicht beklagen, aber – ach, verdammt noch mal, natürlich will ich mich beklagen.«
Ihre Stimme hatte die geduldige Güte verloren und klang eindeutig zickig.
»Ich habe mehr als die Hälfte meines Lebens den
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