Im Labyrinth der Abwehr
er Weiß:
„Sie haben doch bei der Abwehr gearbeitet und sich mit Rußland beschäftigt. Sagen Sie, denken die Russen an separate Verhandlungen mit Deutschland?"
„Nein", sagte Weiß.
„Daran, daß Rußland von uns besiegt werden kann?"
„Nein."
„Und die, die mit uns zusammengearbeitet haben?"
„Das war gewöhnlich Abschaum.”
„Also Sie meinen, daß eine Wühlarbeit innerhalb Rußlands aussichtslos ist?"
„Wir hatten einzelne Erfolge."
„Ich verstehe", unterbrach ihn Hugo. Er bot ihm eine Zigarette an und sagte nachdenklich: „Daraus kann nur eines folgen: Wenn wir den Krieg im Osten gewinnen wollen, müssen wir ihn im Westen so früh und erfolgreich wie möglich verlieren."
Eines Abends lud Hugo Weiß zu sich ein. Die Villa der Lembergs lag unweit des Wannsees im Bezirk Dahlem. Und hier traf Weiß auch Rittmeister Gerd. Dieser war keineswegs über Johanns Erscheinen erstaunt; offenbar hatte er vorher von diesem Treffen gewußt.
Man aß auf einer riesigen verglasten Terrasse. Danach begab man sich ins Arbeitszimmer von Hugos Vater. Als Johann in den Regalen eine große Sammlung jüngster sowjetischer Zeitschriften sah, schaute er verblüfft auf Hugo.
Hugo erklärte:
„Im Auftrag einiger einflußreicher Personen hat Vater die Aufgabe übernommen, eine politisch-psychologische Analyse der sowjetischen Gesellschaft zu machen."
„Kann Ihr Vater denn Russisch?" fragte Weiß.
„Nein. Er hat dazu seine Mitarbeiter."
„Herr Weiß spricht ebenfalls ausgezeichnet Russisch", erinnerte Gerd.
„Ich bin nicht so sehr an den Sprachkenntnissen meines Gastes interessiert, vielmehr an einer Einschätzung des politisch-moralischen Zustandes der Russen."
Er forderte Johann und Gerd auf, Platz zu nehmen und fragte: „Sagen Sie, gibt es Ihrer Auffassung nach einen Unterschied zwischen Vaterlandsverrat und Verrat am Reich?"
„Ich bin kein Jurist und kenne mich in diesen Feinheiten leider nicht aus", sagte Weiß.
„Na schön, Sie werden noch Zeit haben, darüber nachzudenken. Ich habe nämlich in einer bestimmten Absicht gefragt: Sie werden Ausländer treffen und begleiten müssen, die Feinde Hitlers sind, aber Freunde Deutschlands. Wenn diese Leute in Ihrem Beisein sich kritische Urteile über den Führer erlauben, wie handeln Sie dann?"
„Wenn die Begegnung mit diesen Leuten eine Dienstsache ist, verhalte ich mich entsprechend den Anweisungen ..."
Gerd mischte sich ein:
„Sehen Sie, wir alle verehren in gleichem Maße den Führer. Und das Reich erhalten, heißt dem Führer dienen. Doch Hitler ist nur ein Name. Der Führer — das ist die Seele Deutschlands. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn Sie auf die Fragen dieser Ausländer, ob das deutsche Volk angeblich auch ohne Hitler seine historische Mission erfüllen kann, positiv antworten und genügend überzeugende Argumente anführen."
„Wenn man es mir befiehlt", sagte Weiß.
„Und vergessen Sie nicht, die bolschewistische Einmütigkeit der Russen mit soviel Bestimmtheit zu charakterisieren, wie Sie es neulich im Gespräch mit mir getan haben", fügte Hugo hinzu.
56
Nach der Begegnung mit Hugo Lemberg und Gerd änderte sich nichts für Weiß. Er erledigte weiterhin kleine unbedeutende Aufträge für Gustav. Dennoch genoß er relative Freiheit und benutzte sie, um Verbindung mit dem Zentrum aufzunehmen. Er erfuhr, daß er mit dem Verbindungsmann in Berlin Kontakt aufnehmen sollte.
Als Treff wurde ein Massagesalon genannt, der sich in der Nähe von Schellenbergs Stabsquartier befand.
Im Salon wurde Johann von Professor Stutthoff empfangen. Er selbst nahm jeden neuen Patienten in Augenschein. Vor Johann stand ein grauhaariger alter Mann, dessen Gesicht voller Schmisse war. Wie er später erfuhr, hatte ein sowjetischer Chirurg Stutthoff diese Narben mit großem Können beigebracht.
Johann nannte die Losung, erhielt das entsprechende Kennwort zur Antwort und wartete, daß der Professor unverzüglich seine Informationen entgegennehmen und Anweisungen erteilen würde. Doch Stutthoff forderte ihn auf, sich auszuziehen, und untersuchte ihn sorgfältig. Er warf Johann vor, daß er seine Gesundheit vernachlässige; das hätte in unzulässigem Maße zu einer Erschöpfung des Nervensystems geführt. Er verschrieb ihm etwas und empfahl ihm eine entsprechende Lebensweise.
„Hören Sie, Sie brauchen aus mir nicht das Opfer Ihrer zweifelhaften Kenntnisse zu machen!"
„Wieso zweifelhaften? Ich habe schon praktiziert, als Sie noch das Pioniertuch
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