Im Labyrinth der Abwehr
mechanisch, doch dann fragte er erstaunt: „Aber wer hat dir gesagt, daß ich den Boß begleite?" Niemand hatte es Johann gesagt. Er hatte einfach begriffen, daß Joe nicht der Mann war, den man in Schönliechen erwartete. Und seine Vermutung hatte sich bestätigt, als er mit dem Ellenbogen den Griff einer Maschinenpistole unter Joes Arm spürte. Ein Mann mit großen Vollmachten hätte keine solche Waffe bei sich.
Ohne auf Johanns Antwort zu warten, sagte Joe offenherzig: „Kann man denn unter solchen Bedingungen überhaupt für die Sicherheit seines Boß bürgen?"
„Um Ihren Boß kümmern wir uns schon."
„Darum haben sie mir wohl so einen Burschen wie dich gegeben, einen von der Abwehr und nicht von der Gestapo."
„Denkt man bei Ihnen, daß die Abwehr besser arbeitet?"
„Nein, der Boß will einfach nur nicht, daß die Gestapo für ihn bürgt. Unter dem Schutz eines Militärspionagedienstes zu stehen ist ehrenhafter als unter dem Schutz der Gestapo. Aus politischen Gründen will der Boß mit dieser Firma nichts zu tun haben. Das schadet ihm zu Hause. Die einfachen Wähler sind entschieden gegen Hitler eingestellt, gegen jeden Faschisten. Sie zahlen die Steuern, sie leisten Kriegsdienst, man muß Rücksicht auf sie nehmen."
„Offensichtlich liebt der Boß seine Wähler so sehr, daß er hierhergekommen ist, um die Deutschen zu bitten, sie möchten sie an der Westfront nicht zu sehr zwicken.”
„Paß lieber auf deinen eigenen Kopf auf."
„Wir werden euch schon zeigen, wie man kämpft."
„Und euch werden es die Russen zeigen!"
„Stimmt", sagte Weiß. „Deshalb fürchtet ihr, daß die Russen vor euch am Ärmelkanal sind."
„Woher hast du das?"
„Daher: weil ihr einen Separatfrieden abschließen wollt."
„Tja, mein Lieber, das ist nicht so einfach ..."
„Genau”, pflichtete ihm Weiß bei.
Joe, antwortete nicht mehr. Er war eingeschlafen.
Die Wachposten am eisernen Gittertor verlangten keine Ausweise: Sie hatten die Fotos von Johann und Joe.
Ein äußerst höflicher Mann in Zivil nahm Joes Koffer und begleitete ihn in den Seitenflügel des Gutshauses. Weiß wurde von einem SS-Mann in einen gesonderten Raum gebracht, wo er weitere Befehle abwarten sollte.
Am nächsten Morgen erhielt Johann den Auftrag, mit Joe nach Ravensbrück zu fahren. Dann sollte er ihn wieder nach Berlin bringen und ihm alles zeigen, was er sehen wollte.
Zum eigentlichen Lager erhielt Joe keinen Zutritt. Der Kommandant empfing ihn in der Lagerverwaltung, wo einige gutgenährte Frauen in Sträflingskleidung saßen. Weiß erkannte sofort, daß es verkleidete Aufseherinnen waren.
Joe fotografierte sie und stellte ihnen einige Fragen, auf die der Kommandant antwortete. Dann verließ er das Gebäude und ging zum Wagen. In diesem Augenblick kam eine kleine Gruppe weiblicher Häftlinge durchs Lagertor. Joe belebte sich sichtlich und wollte auch sie fotografieren.
Der Kommandant verbot die Aufnahmen. Da meinte Joe grinsend:
„Ziehen Sie ihnen doch die Häftlingskleider aus, und geben Sie ihnen gewöhnliche Sachen, kurz, machen Sie es mit ihnen genauso wie mit denen, die ich eben fotografieren durfte." Und als er merkte, daß der Kommandant unnachgiebig blieb, blinzelte er ihm zu und versicherte: „Sie können ganz beruhigt sein, diese Bilder werden nur zeigen, bis zu welchem Grade der Erschöpfung der Krieg die deutschen Frauen gebracht hat. Beim Anblick dieser Dokumente werden viele Senatoren Tränen vergießen."
Der Kommandant gab nach. Nach einiger Zeit stellten sich die weiblichen Häftlinge, die die Sachen der Begleitposten angezogen hatten, vor dem Verwaltungsgebäude auf.
Joe fragte den Kommandanten, ob sich im Lager nicht einige Kinder befänden.
„Kinder, das ist doch immer etwas Rührendes", erklärte er.
Auch dieser Wunsch wurde ihm erfüllt.
Während Joe geschäftig zwischen den Frauen und Kindern hin und her rannte, fotografierte ihn Johann vor dem Hintergrund des Lagerzauns.
Als sie wieder in Berlin waren, fuhr Johann ihn in die von Fliegerangriffen am stärksten zerstörten Stadtteile. Joe fotografierte die Ruinen lange und angestrengt. Auf dem Weg zum Flughafen fragte Weiß:
„Verkaufst du diese Aufnahmen an Zeitungen?"
„Das entscheidet der Boß, ich arbeite für ihn, er für die Politik." „Was ist an deinen Bildern schon für= Politik?"
„Na hör mal! Unsere Roten schreien, daß ihr Faschisten und Bestien seid. Mein Boß aber legt diese Bilder vor, und alle sehen die ausgemergelten
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