Im Labyrinth der Abwehr
angefaßt hätte, hätte man mich liquidiert." „Und warum haben Sie nicht Meldung gemacht?"
„Wem?"
„Dem Chef."
„Wenn Schellenberg sich nicht mit einigen Informationen über den Führer, die keinem bekannt sein dürfen, in Verbindung bringen wollte, hätte er mich liquidiert."
„Aber wenn er sich mit den Akten hätte vertraut machen wollen?” „Was hätte es dann ihm genützt, wenn ich davon wußte? Er wäre in diesem Fall genauso mit mir verfahren."
„Hören Sie, Sie gefallen mir", rief Fährhof aus. „Sie sind einfach ein vernünftiger Feigling."
„Daraus mache ich kein Hehl. Bei unserem Dienst ist die einzige Methode, am Leben zu bleiben: Man muß nicht im voraus erraten wollen, was einem befohlen wird zu tun, sondern nur tun, was einem befohlen wird."
„Schön", stimmte ihm Fährhof zu. „Und trotzdem erstreben Sie wahrscheinlich etwas Größeres?"
„Wie alle", sagte Weiß. „Ich möchte, daß mir so wenige wie möglich befehlen, und daß ich so vielen wie möglich befehlen kann."
„Ausgezeichnet", sagte Fährhof, während das Boot am Ufer anlegte. Weiß griff Fährhof unter den Arm, um ihn zu stützen. Er fragte:
„Haben Sie sonst noch Fragen an mich?"
„Erlauben Sie mal", erhob Fährhof Einspruch, „ich habe doch mit Ihnen nur eine Spazierfahrt gemacht."
„Dazu haben wir jetzt wohl nicht die Zeit."
„Na gut. Ich habe keine Einwände mehr gegen Sie."
„Das wollte ich nur wissen", sagte Weiß zufrieden. „Sie können sicher sein. Ihr Scharfsinn hat Sie auch diesmal nicht betrogen." Einige Tage darauf erhielt Johann den Auftrag, nach Stockholm zu fahren. Er wurde Teil eines gutorganisierten und tadellos funktionierenden Beschattungsapparates, zu dem Schellenberg seine erfahrensten Agenten zusammengeschlossen hatte.
Aus diesem Mechanismus selbst für kürzeste Zeit auszubrechen, gelang Johann vorerst nicht: Alle Einzelheiten waren so sehr aufeinander abgestimmt, daß die geringste Abweichung sofort ein Alarmsignal in der ganzen Kette ausgelöst hätte. Die völlige Isolation, in der sich Weiß befand, machte es ihm unmöglich, Verbindung zu den Seinen herzustellen. Verzweifelt glaubte er schon, daß die Nachricht vom Sieg der Sowjetarmee ihn irgendwo in Stockholm erreichen würde. Und er würde nur so wie immer in der Telefonzelle stehen, um zu melden, daß Graf Bernadotte, der Neffe des Königs von Schweden, seine Residenz verließ, um sich mit einem der Gesandten Himmlers zu treffen. Häufig war dieser Gesandte Schellenberg selbst.
Weiß wußte, daß der Graf nicht nur den Posten eines Vorsitzenden des Schwedischen Roten Kreuzes bekleidete. Er war auch Direktor der schwedischen Filialen der amerikanischen Firma „International Business Machine", die zum Morgan-Trust gehörte. Es war möglich, daß er nicht nur mit Geschäfts-, sondern auch mit Regierungskreisen der USA in Verbindung stand, die ihrerseits Verhandlungen mit den Faschisten führten.
64
Schellenberg war in dieser Zeit der zielstrebigste, energischste und entschiedenste aller Regierungspersönlichkeiten des Reiches. Doch am wenigsten dachte er daran, wie sich das Schicksal Deutschlands gestalten würde. Er war überzeugt, daß sein eigenes Schicksal in keiner Weise davon abhing. Schon seit Stalingrad wußte er, daß die militärische Niederlage unvermeidlich war. Und er setzte seine Hoffnungen auf Himmler. Wenn Himmler der erste Mann in Deutschland würde, so würde er, Schellenberg, der zweite.
Diese ganze Zeit wich Schellenberg nicht von Himmlers Seite. Er war ungewöhnlich aufgelebt, selbstsicher und entzündete die Phantasie seines Chefs durch die berauschenden Perspektiven einer autokratischen Selbstherrschaft.
In dem Bunker Himmlers führte er diesem Filme vor, die einer seiner Agenten auf seinen Befehl mit versteckter Kamera vom Führer gemacht hatte.
So wie in einem Aquarium unter Wasser bewegte sich vor ihnen auf der Leinwand ein gebückter Mensch mit blassem, schwammigem, aufgedunsenem Gesicht. Seine linke Hand zitterte unwillkürlich, die rechte legte er ans Ohr: Sein Gehör hatte sich nach einer kürzlichen Operation merklich verschlechtert. Jetzt ging er zum Tisch. Die Sohlen seiner Stiefel klebten gleichsam am Boden, sein Gang war schwankend wie der eines Greises. Er nahm einige Blätter in die Hand und führte sie mühselig an die Augen.
Himmler rückte mit dem Stuhl näher an die Leinwand. Er blickte neugierig und mit offensichtlichem Wohlbehagen auf seinen Führer.
Als der Film
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