Im Labyrinth der Abwehr
schweigend, nahm seine Reisetasche und meinte:
„Gehen wir."
„Wohin?"
„Ich komme hierher nicht wieder zurück."
„Nein, du mußt hierbleiben", entgegnete Weiß. „Ich befehle es dir.
Das ist für uns alle wichtig. Hast du verstanden? Und auch für Brigitte."
„Ja, vielleicht ... Weißt du, ich glaube, sie hat gewußt ..."
„Was?"
„Natürlich nicht alles, aber sie hat gewußt, wer ich bin."
„Und warum glaubst du das?"
„Ich habe es manchmal gefühlt. Kurz bevor sie starb, winkte sie mir mit der Hand und flüsterte auf russisch: 'Es war schön, danke, leb wohl!' Sie wollte mir damit sagen, daß sie es wußte. Sie hat mit diesem Wissen gelebt. Hätte ich das früher gewußt, ich wäre der glücklichste Mensch auf Erden gewesen. So aber habe ich mich gequält, daß ich nicht ehrlich zu ihr war."
„Gehst du auf den Friedhof?"
„Ja."
„Ich komme mit."
„Ich danke dir", sagte Subow.
An Brigittes Grab fragte er:
„Wird man später in Russisch auf den Stein schreiben können, daß sie Brigitte Subow war?"
„Natürlich, was denn sonst? Sie war doch deine Frau …“
63
Der Personalbestand in der Bismarckstraße hatte sich während der letzten Monate verändert. Leute verschwanden unbemerkt, und neue erschienen genauso unbemerkt an ihrer Stelle.
Anstelle Gustavs leitete jetzt Alfred Fährhof die Gruppe.
Fährhof war ein Studienkollege Schellenbergs. Nach Abschluß der Universität hatte Fährhof in Bonn ein Anwaltsbüro eröffnet, war aber bereits beim ersten Prozeß gescheitert: Er hatte nicht seinen Klienten verteidigt, sondern ihn wie ein Staatsanwalt beschuldigt. Das gleiche geschah auch bei den nächsten Prozessen. Und das war kein Zufall. Fährhof wollte über Menschen herrschen, der Beruf des Anwalts aber zwang ihn, vor der Macht der Gesetze Ausflüchte zu machen. Hinzu kam, daß er die spätere Rache der Angeklagten fürchtete. Deshalb hatte er seine Stellung aufgegeben.
Als Schellenberg Chef der sechsten Abteilung des Sicherheitsdienstes wurde, schlug er Fährhof einen Posten in der geheimen Untersuchungsabteilung dieser Dienststelle vor.
In dieser Abteilung liefen alle Meldungen derjenigen ein, die die Auslandsagenten und Nachrichtenoffiziere des SD beschatteten. Und auf Grund dieser Meldungen konnte Fährhof einen Agenten oder Nachrichtenoffizier in Abwesenheit verurteilen. Besessen von Ehrgeiz und Machtgier, verachtete er alle moralischen Prinzipien. Nicht der Staat, sondern Macht, persönliche Macht war sein Gott.
Unter den Schlägen der Sowjetarmee schwankte und zerfiel das Gebäude des faschistischen Reiches. Die Truppen der Alliierten waren auf dem Kontinent gelandet. Im Auftrage Himmlers, der sich anschickte, Hitlers Nachfolge anzutreten, führte Schellenberg in Stockholm fieberhaft Geheimverhandlungen mit den Engländern und Amerikanern.
Für die erfolgreiche Abwicklung dieser Tätigkeit brauchte der Brigadeführer Leute, die treu ergeben und zuverlässig waren und jeden beliebigen Auftrag schnell ausführten.
Fährhof mußte einige Leute aus der Sondergruppe Schellenbergs auswählen. Weiß hatte durch sein unnachgiebiges Verhalten im Gefängnis bedingungslose Treue zu Schellenberg gezeigt. Doch mit einem endgültigen Entschluß ließ sich Fährhof Zeit. Je mehr Weiß ihm zusagte, desto verdächtiger erschienen ihm dessen Zurückhaltung und Würde. Fährhof war überzeugt, daß sich dahinter etwas verbarg.
Eines Abends lud er Weiß ein, mit ihm zusammen auf den Wannsee hinauszurudern. ' „Sagen Sie mal, waren Sie im Gefängnis wirklich bereit, Ihr Leben für Schellenberg zu opfern?"
„Was blieb mir denn übrig?" fragte Weiß. „Ich zog es vor, für meine Treue zu Schellenberg gehängt zu werden, nicht für meine Untreue."
„Das haben Sie gut gesagt. Prahlerische Menschen, die sich einen Heldenmantel überziehen, flößen mir kein Vertrauen ein. Darin liegt immer etwas Unnatürliches. Noch eine Frage: Sie waren mit Hacke bekannt?"
„Ja."
„Was können Sie über ihn sagen?"
„Er war ein Dummkopf."
„Was wissen Sie genau über ihn?"
„Ich denke, weniger als Sie."
„Aha! Hacke hat ausgesagt, daß er Ihnen angeboten hat, die Akten aus seinem Safe zu nehmen."
„Was heißt ausgesagt?" fragte Weiß. „Hat man ihn denn verhört?" „Hier stelle ich die Fragen. Warum haben Sie es abgelehnt, die Akten zu nehmen? Sie wußten doch, wen sie betrafen."
„Eben aus diesem Grund habe ich es abgelehnt."
„Genauer", verlangte Fährhof.
„Wenn ich sie nur
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