Im Labyrinth der Abwehr
sie flüchtig, daß ein Obergefreiter Bruno sie besucht und sich nach Weiß erkundigt habe.
War es wirklich Bruno? Johann konnte sich vor Erregung kaum konzentrieren, doch dann bat er Frau Ditmar, dem Obergefreiten, natürlich nur, wenn dieser noch einmal kommen sollte, seine Feldpostnummer mitzuteilen.
Sich hier abzusondern, war so gut wie ausgeschlossen, man mußte dazu den einzig möglichen Ort, die Toilette, benutzen. Er präparierte hier den Brief an Frau Ditmar und schrieb mit einer chemischen Lösung zwischen die Zeilen die Angaben seiner vermutlichen Koordinaten, skizzierte die zur Stellung führenden Wege und gab einen Hinweis für ein eventuelles Versteck.
Am nächsten Tag reichte er den Brief in einem nichtverklebten Kuvert durch das Fensterchen des Kommandanturwachpostens.
Die Pflichten eines Hausmeisters erfüllte ein alter Soldat. Er war schwerhörig und mürrisch.
Den Posten verdankte er seiner Tochter, die sich ständig im Stabsflügel aufhielt.
Obwohl es ihm schmeichelte, daß seine Tochter Dienstälteste einer Hilfseinheit für Frauen war, gefiel ihm nicht, daß sie jeden Wunsch der Offiziere nur allzu diensteifrig erfüllte.
Eines Tages gab diese athletisch gebaute Wehrmachtshelferin Johann den Auftrag, die Heizspiralen eines besonderen Ofens auszuwechseln.
Johann reparierte den Ofen in der Schreibstube unter ihrer Aufsicht.
Sie fragte:
„Trinkst du einen?"
„Nein.”
„Verheiratet?"
„Verlobt." Diese Version gebrauchte Johann aus Abwehr.
Sie setzte sich auf einen Stuhl und schlug die Beine übereinander, so daß der Oberschenkel sichtbar wurde.
„Und du bist ihr genauso treu wie im Reich?"
„Genauso."
„Früher oder später wird sie sowieso einen unter die Decke nehmen, so wie die anderen."
„Sie ist keine von denen."
„Ich war auch erst keine von denen."
„Sind Sie vom Lande?"
„Ja. Vater und ich haben bei Reichsführer Himmler gearbeitet; er hat in der Nähe von München eine riesige Geflügelfarm. Zu Weihnachten haben wir die Puten geschlachtet und sie lastwagenweise nach München und auch in andere Städte geschickt."
„Hat er aus dieser Geflügelfarm größere Einkünfte gehabt?"
„Pah! Er ist augenblicklich einer der reichsten Männer des Reiches;
die Farm — das war nur so, zum Vergnügen."
„Haben Sie ihn gekannt? Ihn gesehen?"
„Ja, ziemlich oft."
„Und wie war er?"
„Ach, wissen Sie, er war so fürsorglich. Wenn eine holländische Pute erkrankte, ließ er von dort extra einen Spezialisten kommen.
Und der kurierte sie dann."
„Wurden Sie auf der Farm gut bezahlt?"
Sie sagte nachdenklich:
„Zu Weihnachten brachte Vater von der Farm ein paar Hände voll Nüsse mit, mit denen die Puten gefüttert wurden. Er wollte sie mit Silberpapier bekleben und an den Weihnachtsbaum hängen. Und dann mußten wir Weihnachten ohne Vater feiern. Der Verwalter hatte ihn geschlagen und die ganzen Weihnachtstage in den Schuppen gesperrt." Erwartungsvoll sagte sie: „Ich hoffe, daß man mir im Generalgouvernement ein Stück Land gibt, und dann werden wir uns mit Vater eine eigene Geflügelfarm anschaffen."
„Rechnen Sie so fest damit?"
„Natürlich. Ich bin in die Partei eingetreten, noch bevor wir die Herren Europas wurden.”
Zum Abschied sagte sie zu ihm wohlwollend: „Ich freue mich, daß es hier noch solche anständigen Burschen wie dich gibt."
Manchmal half Johann abends Paul Reis, dessen Aufgabe es war, die Akkumulatoren aufzuladen. Er mußte die Bleiplatten sortieren, waschen und von den Oxydrückständen reinigen.
Paul war ein gebürtiger Bayer, sein Vater Inhaber einer kleinen Böttcherwerkstatt, in der man nicht nur Fässer, sondern auch geschnitzte und bemalte Bierseidel herstellte.
Am neunten und zehnten November 1938 hatte eine blutige Welle von Pogromen gegen die Juden das ganze Dritte Reich durchrollt, und Paul hatte damals dem Arzt Salzmann und seiner Familie Asyl gewährt. Salzmann hatte ihn seinerzeit unentgeltlich operiert, als er an Darmverschlingung zu sterben drohte. Irgend jemand hatte Paul denunziert.
Er war Mitglied der nationalsozialistischen Partei. Man übergab ihn einem Ehrengericht. Er wurde aus der Partei ausgeschlossen und in ein Arbeitslager geschickt.
„Vor Gericht hab ich behauptet, daß ich mich nur von geschäftlichen Erwägungen hätte leiten lassen. Meine Schuld Salzmann gegenüber betrug nicht weniger als fünfhundert Mark. Das ist eine große Summe. Salzmann nicht aufzunehmen, hätte bedeutet, daß ich auf
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