Im Labyrinth der Abwehr
die Zwecke des Sicherheitsdienstes, der Gestapo und natürlich der Abwehr nutzbar zu machen.
Abschließend erklärte Klein, daß Professor Strumpfel zahlreiche wertvolle Vorschläge gemacht habe hinsichtlich der psychologischen Überprüfung der vom Sonderdienst vorgeschlagenen Personen. Dietrich dankte Klein und sagte, daß ihn die Zahl der Kandidaten, die der Herr Obersturmbannführer der Abwehr vorschlagen könne, interessiere.
„Oh", rief Klein lebhaft aus, „ich schlage ihnen nicht einen einzigen Häftling vor, bewahre! Das geschieht auf Ihre Verantwortung." Und er bemerkte boshaft: „Ich bin viel zu sehr Bürokrat. Die Kartei steht zu Ihrer Verfügung. Aber ich warne Sie: Nur auf Ihre Verantwortung. Ich wasche meine Hände in Unschuld."
27
Klein hatte Reiß befohlen, die Abwehrleute ins Lager zu begleiten. Dietrich, der eine Infektion fürchtete, hatte sich in die Schreibstube begeben, um die Häftlingskartei zu studieren.
Es war ein kalter, frischer Morgen. Bäume und Gras waren mit einer dünnen Schicht Rauhreif bedeckt, und der Sand knirschte unter den Sohlen wie hartgefrorener Schnee.
Reiß kam, um Weiß mit dem Motorrad abzuholen. Johann nahm im Beiwagen Platz, streckte die Beine aus, bedeckte sich mit der Schutzdecke. Reiß sagte freundschaftlich, offensichtlich hatte er zu Weiß Vertrauen gefaßt:
„Es würde noch viel mehr Spaß machen, dich in die Stadt zu bringen. Wir würden uns da prima amüsieren. Hier ist es so langweilig wie auf der Apostel-Paulus-Schule."
„Was, warst du auf dem Seminar?"
„Mein Vater wollte, daß ich Priester werde."
Johann schielte auf Reiß' Mütze mit dem Totenkopf und sagte „Das da hat mit einem Kruzifix aber wenig Ähnlichkeit.”
Reiß grinste.
„Bist du schon lange hier?" fragte Johann.
„Gleich nach Treblinka. Auch ein Versuchslager, aber nur zur Liquidierung; sie haben vor allem Juden vernichtet. Ich hatte immer Kopfschmerzen. Das mit Dampf vermischte Kohlenoxyd verflüchtigt sich nicht so schnell. Einmal hatte ich sogar einen Asthmaanfall."
„Und warum haben sie dich hierher versetzt?"
„Das war so: Wir hatten Inspektion aus Krakau. Und Generalgouverneur Frank fand, daß die Vernichtungsquote bei uns unzulässig niedrig sei. 'Wollen sie vielleicht die Juden im Osten ansiedeln?' hat er beim Abschied gesagt. ‚Liquidieren! Nur liquidieren! Das Generalgouvernement muß genauso frei von Juden sein wie das Reich.' "
„Und was hast du damit zu tun?"
„Na, das ist so, sie haben mich auf die Adolf-Hitler-Schule geschickt. Ich hab da eine Sonderabteilung besucht; politische Meinungsforschung unter der Bevölkerung. Und nach der Schule konnte man mich in Treblinka nicht mehr richtig einsetzen. Da gab's doch nur Liquidierungen."
Das Tal lag im kalten Nebeldunst. Vor ihnen tauchten niedrige Steingebäude mit hohen gemauerten Schornsteinen auf.
„Sind das die Krematorien?"
„Nein, das sind Öfen zum Ziegelbrennen", erklärte Reiß bereitwillig. Er zögerte einen Augenblick: „Sie werden auch dazu verwandt ..., manchmal ..."
Über einen Steinweg betraten sie den leeren Appellplatz. Der Boden war hier festgestampft, Blut und Schweiß von zerschlagenen Füßen hatten ihn in eine Art Asphalt verwandelt.
Der übrige Platz war durch Draht in quadratische Umzäunungen eingeteilt, in jeder von ihnen standen jeweils zwei flache Baracken, deren Dach ein mittelgroßer Mensch mit der Hand erreichen konnte.
Die Fenster zogen sich fast in der ganzen Länge der Barackenwände hin. Fast alle zehn Meter ragten hölzerne Röhren aus der Wand. Reiß erklärte:
„Das ist zum Abhören. Klein hat zahlreiche Verbesserungen eingeführt. Er vermeidet zum Beispiel die öffentlichen Hinrichtungen.
Jede Zelle ist mit solchen Geräten ausgerüstet, daß der Häftling mit sich selbst abrechnen kann."
„Das heißt also: organisierter Selbstmord?"
„Wieso Selbstmord? Er hat einfach die Wahl."
Als ihnen eine Häftlingskolonne in gestreiften Kitteln entgegenkam, sagte Reiß zu Johann, indem er auf sie wies:
„Das Prinzip der Entpersönlichung ist auch eine Idee von Klein.
Es beginnt damit, daß jeder Häftling nur seine Nummer hat. Nichts anderes darf er behalten, nur seine Nummer. Zu diesem Zweck wechselt jeder Häftling täglich Baracke, Pritschenplatz und Gruppe. Wir mischen sie wie ein Kartenspiel. Besonders bei den Russen ist der Instinkt zum Organisieren sehr entwickelt. Wir brechen ihn und kommen besser an die Horcher ran."
„An die
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