Im Labyrinth der Abwehr
Köpfe sind klüger als einer."
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So saß Johann Abend für Abend in der Schreibstube. Er war entschlossen, vor allem die Horcher und Denunzianten herauszufinden. Die Listen der Lagerverwalter, das war es, was er in erster Linie brauchte.
Das Leben im Lager konnte man nur durch Nahrung verlängern. Darum unterstützte die SS diejenigen Leute, die sie brauchte, indem sie ihnen zu essen gab. Zusatzrationen erhielten die Blockältesten. Den Verrätern stand ebenfalls eine Zusatzration zu, und als höchste Belohnung Tabak und Alkohol.
Johann studierte sorgfältig die komplizierten Eintragungen im Proviantverzeichnis, musterte die darangehefteten Quittungen der Blockführer. Die Nummer des „Kaninchens" war für ihn der Schlüssel zur Lösung dieser komplizierten Buchhaltung.
In den Listen derjenigen, die in den Sonderblock, über dem die Rote-Kreuz-Fahne wehte, geschickt wurden, entdeckte er einige Male die Nummer eines „Kaninchens". Aber aus dem Sonderblock kehrte niemand lebend zurück. Der Tag, an dem sich das „Kaninchen" im Sonderblock aufhielt, fiel zusammen mit dem Datum auf der Empfangsbestätigung des Blockführers über eine Zusatzration, über Alkohol und Tabak.
Die gleiche Gesetzmäßigkeit entdeckte Johann auf den Listen des Strafblocks: Das Datum der Bestrafung eines „Kaninchens" fiel stets mit dem Datum einer Zusatzration an den Blockführer zusammen.
Nach vielen in der Schreibstube verbrachten Nächten stellte Johann fest, daß nicht ein „Kaninchen" aus den Todeszellen zurückgekehrt war. In den Listen waren noch einige „Nummern", die mehrmals in den Sonder- und den Strafblock geraten waren, und ihr Aufenthalt dort war jedesmal von den gleichen Empfangsbestätigungen der Blockführer begleitet.
So fand Johann die Verräter heraus. Die Kartei brauchte er nur, um die Nummern durch Namen zu ersetzen. Er chiffrierte die Namen; diese Liste versteckte er unter der Einlage seines Stiefels, die Nummern trug er in sein Notizbuch ein.
Die Proviantliste interessierte Johann nicht mehr. Jetzt befaßte er sich mit den Personalakten der Häftlinge. Bei einigen von ihnen hatte Fichte Eintragungen gemacht. Nachdem er mit dem System vertraut war, begriff Johann, daß diese Häftlinge zum Tode verurteilt waren, nicht wegen physischer Erschöpfung, sondern weil sie einen schädlichen Einfluß auf ihre Umgebung ausgeübt hatten. Johann schrieb sich Namen und Nummern dieser Häftlinge auf. Unter ihnen war auch die Nummer 740014.
Als Johann im Morgengrauen die Schreibstube verließ, ging er zum Steinbruch, wo die Gefangenen arbeiteten, und beobachtete stundenlang die Häftlinge mit den Nummern, die ihn interessierten. Er bemerkte, daß die Denunzianten sich nicht allzusehr anstrengten, sie wurden von den Posten kaum belästigt. Diejenigen aber, die Fichte zur Liquidierung vorgesehen hatte, wurden zu einem mörderischen Arbeitstempo gezwungen und unbarmherzig geschlagen.
Johann stellte die von Dietrich geforderte Liste zusammen. Er wählte diejenigen Verräter aus, die nach ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten am wenigsten für die Rolle eines Diversanten geeignet waren.
Verdächtigen konnte man Johann nicht. Sie alle behaupteten, daß sie unter der Sowjetmacht gelitten hätten. Daher drängte sich die Schlußfolgerung auf, daß sie bereit sein würden, sich für die erlittenen Leiden zu rächen. Es war natürlich möglich, daß einige Häftlinge logen, um die eigene Haut zu retten. Doch wie dem auch sein mochte, derartige Aussagen waren ein unzweifelhafter Beweis dafür, daß Johann seine Kandidaten aus politischen Gründen ausgewählt hatte.
Einige Tage später lud Dietrich Weiß zu einem Waldspaziergang ein. Kaum waren sie ein Stück vom Lager entfernt, als Dietrich gereizt begann, sich über Klein zu beklagen. Er sei absolut nicht sicher, daß Klein ihm tatsächlich helfen wolle. Offenbar sei die Gestapo nicht gewillt, sich von den geeigneten Häftlingen zu trennen.
Johann stimmte ihm mit einem Kopfnicken zu. Dann holte er aus der Kartentasche die von ihm zusammengestellte Liste von Kandidaten und die aus den Personalakten gemachten Auszüge zu ihrer Begründung hervor. Er überreichte Dietrich die Papiere feierlich und bat, die von ihm gemachte Arbeit als die seine zu betrachten. Dietrich schaute sich die Papiere aufmerksam an und war offensichtlich mit Johanns Vorschlag zufrieden.
Die ganzen Tage verließ Johann der Gedanke an den Häftling mit der Nummer 740014 nicht. Wieder und
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