Im Labyrinth der Abwehr
Vortag, unter den Augen hatte sie dunkle Schatten.
„Ich weiß nicht, wie ich im Varieté heute auftreten werde. Ich bin so müde ..."
Sie brachte ihn zur Tür.
In der Küche drängten sich die Frauen um den Herd. Als die beiden vorbeikamen, drehten sie sich um und starrten Johann an.
Elsa legte ihm zum Abschied die Hände auf die Schultern und berührte seine Wange mit ihren Lippen.
26
Der Weg zu dem Versuchslager „OX-247" führte durch einen Fichtenwald. Hier befanden sich die Wohnsiedlung des Lagerpersonals, die Unterkünfte der Wachmannschaften und die Häuschen der höheren Vorgesetzten. Das Lager selbst lag tiefer, in einer waldlosen Niederung.
Die Wohnsiedlung des Personals glich einem Landsitz: ein Tennisplatz unter Tarnnetzen, kacheleingefaßte Sandsteinwege, sorgfältig mit Strohmatten bedeckte Rosenbeete. Auch ein Spielplatz für Kinder war da und ein Schwimmbassin, das jetzt als Eisbahn diente.
Der wachhabende Rottenführer führte Steinglitz, Dietrich. und Weiß in das Gästehaus; unter freundlichen Erklärungen der einzelnen Räumlichkeiten brachte er sie in ihre Zimmer.
Kaum hatten die Ankömmlinge sich frisch gemacht, als eine Ordonnanz erschien und meldete, daß Obersturmbannführer Franz Klein sie erwarte.
Im Vorzimmer, das mit Eichenholz getäfelt war, begrüßte sie der Obersturmbannführer. Er trug Reithosen, Stiefel und eine karierte Hausjacke. Offenbar verfolgte er ein doppeltes Ziel: Er wollte bei den Gästen das Gefühl freundschaftlicher Zwanglosigkeit erwecken und ihnen gleichzeitig beweisen, daß er es nicht für nötig hielt, ihretwegen die Uniform anzuziehen. Nachdem er Dietrich und Weiß ins Arbeitszimmer geführt hatte, stellte er den Ankömmlingen zwei Offiziere vor: Sonderführer Fichte, einen kahlköpfigen, untersetzten Mann mit beachtlichem Leibesumfang, und Untersturmführer Reiß, einen verlegen lächelnden jungen Mann mit Backenbart, sowie den Professor für Psychologie, Strumpfel, einen älteren Herrn mit widerlich aufgedunsenem Gesicht, der an einer großen, ausgegangenen Zigarre kaute.
Frau Klein betrat das Zimmer. Ihr golden schimmerndes Haar war zu einer komplizierten Frisur gebauscht, auf dem Gesicht lag das triumphierende Lächeln einer schönen Frau. Sie gab jedem die Hand, eine weiße, warme, wohlriechende, mit Ringen geschmückte Hand.
Und fast gleichzeitig trug die Ordonnanz einen Säugling im spitzenbesetzten Steckkissen ins Arbeitszimmer. Jeder drückte seine Begeisterung aus.
Frau Klein sagte geschmeichelt:
„Das ist unser Geschenk für den Führer. Wir haben ihm den Namen Adolf gegeben."
Als die Ordonnanz den Säugling hinaustrug, öffnete Klein die zweiflügelige Tür zum Speisezimmer:
„Keine Umstände, meine Herren, fühlen Sie sich wie zu Hause. Und entschuldigen Sie bitte schon im voraus die einfache Kost." Nach dem Essen kehrten die Männer ins Arbeitszimmer zurück. Man trank Kaffee und rauchte. Es wurde Musik gehört. Reiß legte eine Platte nach der anderen mit Tannhäuser-Ausschnitten auf. Klein erklärte, daß Wagner der größte Komponist sei. Und alle pflichteten ihm schweigend bei. In dieser Atmosphäre des satten, trägen Halbschlummers setzte sich Klein zu Dietrich auf den Diwan, klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und erklärte, daß er bereit sei, ihn in jeder Weise zu unterstützen.
Die Kartei mit den Namen der Häftlinge stände Dietrich völlig zur Verfügung. Sonderführer Fichte werde über alles Auskunft geben. Und Klein erzählte kurz, daß er bereits seit dreiunddreißig Spezialist auf diesem Gebiet sei.
Anfangs habe sich das Menschenmaterial aus Kommunisten, Liberalen, Gewerkschaftern zusammengesetzt, meistens Rote; die Ausmusterung sei nicht organisiert gewesen, wäre vor allem auf natürlichem Weg vor sich gegangen: als Folge der Epidemien, des Hungers, und im Zusammenhang mit Verletzungen der Lagerordnung.
Die Kapazität der Lager sei beträchtlich gewachsen, als die Masseneinlieferungen der Juden begannen. Heute habe man riesige, prächtig belieferte Lager mit großer Kapazität geschaffen, in denen das unerwünschte Menschenmaterial mit besserer und vervollkommneter Technik vernichtet werde.
Das Versuchslager „OX-247", welches Klein die Ehre habe zu leiten, unterscheide sich ein wenig von seinen Vorgängern, ja sogar von anderen ihm ähnlichen Lagern. Neben den üblichen Aufgaben gehöre zu den Pflichten der Lagerleitung das Herausfinden, Umschulen und Ausbilden einzelner Häftlinge, um sie für
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