Im Labyrinth der Abwehr
nach bestehenden Normen zusammengestellt war, war umfangreicher. Für seine Kartei ließ Weiß zusätzliche Fotos anfertigen, und da er die Bestellung nicht in die Ausgabenliste eintragen wollte, bezahlte er die Arbeit des Fotografen aus eigener Tasche. Man lieferte ihm von jeder Aufnahme einen zweiten Abzug. Dennoch hielt es Johann für notwendig, im Beisein des Fotografen diese zweiten Abzüge zu verbrennen, nur hatte er anstelle der Fotos einen Stapel Glanzpapier in alte Zeitungen verpackt.
Das Versteck für die Fotografien beschloß er im Zimmer Oberleutnant Hagens einzurichten, mit dem ihn ein freundschaftliches Verhältnis verband. Eines Abends, als Hagen nicht im Zimmer war, klebte er die Bilder mit Heftpflaster auf die Rückseite des über dem Waschbecken hängenden Spiegels.
Fast alle Mitarbeiter des Stabes „Vally" führten ein streng geregeltes Leben. Die Mehrzahl der Offiziere, ältere Leute, waren um ihre Gesundheit bemüht. Man hielt Diät ein, man ging vor dem Schlafengehen allein auf dem Hof spazieren. Traf man einander, so unterhielt man sich über unverbindliche, nichtbelastende Themen. Über Dienstangelegenheiten sprach man nur während der Arbeit, in der übrigen Zeit hätten solche Gespräche nicht nur merkwürdig, sondern fast unanständig geklungen. Für diese Leute war die von ihnen gewählte Tätigkeit ein Beruf und nicht mehr. Für manche war eine pädagogische Eitelkeit bezeichnend, und voller Stolz erinnerten sie sich derjenigen ihrer Zöglinge, deren Unternehmen in die Annalen der deutschen Spionage eingegangen waren.
Diese alten Offiziere der Abwehr, die es gewohnt waren, mit Agenten zusammenzuarbeiten, die oft angesehene politische Ämter oder eine solide Position im Handel innehatten — diese alten Spionageveteranen hielten den Auftrag, Agenten aus Kriegsgefangenen heranzubilden, für eine unwichtige, nebensächliche Angelegenheit, die ihrer Qualifikation nicht würdig war.
Vom Gesichtspunkt ihres Berufs war dieses Material von der niedrigsten Sorte, völlig unbeständig.
Ernst Hagen sagte zu Weiß in schulmeisterlichem Ton:
„Merken Sie sich, Johann, den Russen gehen in der Mehrzahl praktische Art und einfache Lebensklugheit ab. Übrigens, Dostojewski hat diesen Charakterzug auf geniale Weise bemerkt, und die Bolschewiken haben ihn bis zum Äußersten entwickelt. Wir geben diesen Leuten hier ein bestimmtes berufliches Wissen. Die Weiterbildung wird sie bis zum gewissen Grade diensttauglich machen. Ich möchte sagen, daß wir sie von vielen moralischen Normen befreien, die dazu geschaffen wurden, damit der Mensch an solche Konventionen wie Vaterland, Pflicht, Ehre und ähnliches gebunden wird.
Der Mensch, der in einem Land für die Belange eines anderen Landes angeworben wird, befreit sich von den nationalen Bindungen, dem politischen Egoismus, und dient treu wie kein anderer den eigenen Interessen, sich selbst.
Genau dieses Bewußtwerden seiner Bestimmung ist bezeichnend für die besten Agenten, die von uns in den verschiedenen europäischen Ländern angeworben wurden. Und diese Russen machen eine Tragödie daraus, schlafen nicht, regen sich auf, und zwar keineswegs deshalb, weil sie sich einer Gefahr aussetzen, wenn man sie im Hinterland absetzt. Nein! Sie suchen eine Rechtfertigung vor sich selbst. Wofür? Dafür, daß sie, der Logik der Umstände folgend und in ihrer Eigenschaft als Überläufer im Dienste des Siegers stehen!"
Hagen hielt inne. Mit vor Eitelkeit glänzenden Augen und emporgerecktem Kinn schaute er Weiß an. Er hielt sich für einen großen Theoretiker der Spionagewissenschaft. Er war der Ansicht, daß der Wissensdrang bereits eine besondere Form der Spionagetätigkeit sei. Die Stabilität der Staatsmacht hänge nur von dem Grad ab, in dem das Spionagenetz verbreitet sei, und Gefahr könne dem bestehenden Staat nur von dorther drohen, wo dieses System nicht durchgedrungen ist.
Weiß bemerkte mit gekünstelter Naivität:
„Ihre Ideen eröffnen unserer Tätigkeit solche Möglichkeiten, zeigen so unerwartete Aspekte, daß ich einfach sprachlos bin. Leider reichen meine Kenntnisse nicht aus, um die ganze Bedeutung Ihrer Gedanken zu erfassen."
Hagen, der von diesem hinterlistigen Lob gerührt war, bot Weiß großzügig die Benutzung seiner Bibliothek an.
So lernte Johann die Schule der Schurkereien der imperialistischen Geheimdienste kennen, machte sich mit ihren Methoden, Schlichen und Kniffen vertraut, erfuhr von der doppelten Taktik der Agenten, der
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