Im Labyrinth der Abwehr
Schultern zusammen, lehnte sich mit mattem Blick ins Kissen und entließ Weiß.
Noch am gleichen Tag gab Landsdorf Befehl, den Gefreiten Johann Weiß in die Einheit des Stabes „Vally" als Dolmetscher aufzunehmen, obwohl er darüber informiert war, daß die russischen Sprachkenntnisse des Gefreiten mangelhaft waren. Doch das schien ihm ganz natürlich bei einem Baltendeutschen, der sein Russisch von einem weißrussischen Emigranten gelernt hatte.
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Major Steinglitz trennte sich von seinem Chauffeur nicht ohne Bedauern, begrüßte ihn aber gern als neuen Kollegen und Mitarbeiter der Abwehr. Dennoch hielt er es für nötig, ihn zu warnen:
„Was wir brauchen, sind Fakten und nicht Ihre Schlußfolgerungen. Schlüsse ziehen wir selbst."
Kaum hatte Dietrich Weiß in seiner neuen Stellung begrüßt, teilte er ihm mit, daß es im Stab einen russischen Dolmetscher, Herrn Maslow, gäbe. Und obwohl er Oberst der Zarenarmee gewesen sei, müsse man ein wachsames Auge auf ihn haben, da unter einigen Teilen der weißrussischen Emigranten eine nationalistische Stimmung zu beobachten sei.
Das Leitungs-, Lehr- und Ausbildungspersonal der Schule war noch nicht vollzählig versammelt, fast alle Wohnräume standen leer. Johann hatte die Möglichkeit, sich das beste Zimmer auszusuchen, aber er bezog eines der schlechtesten, in der Meinung, daß Bescheidenheit für die erste Zeit keine unnütze Empfehlung sei. Aber noch andere Überlegungen hatten seine Wahl bestimmt. An dieses Zimmer, das am äußersten Ende des Korridors lag, grenzten ein Vorratsraum und die jetzt leerstehende Küche. Die Bodentreppe war ebenfalls in der Nähe, und nötigenfalls verfügte Johann nicht nur über zusätzlichen Raum, sondern auch über einen Notausgang.
„Zum Zweck der Kontaktaufnahme mit den Lehrgangsteilnehmern außerhalb der Dienstzeit", wie Dietrich es ausdrückte, empfahl er Weiß, seine Uniform mit dem Zivilanzug zu vertauschen.
Johann beschloß, sich mit seinen Kollegen, wenn nicht auf gleichen Fuß, doch zumindest so zu stellen, daß sie ihn für einen ernsthaften, selbstbewußten Menschen hielten. Er beschloß ferner, die Umgangsformen und Manieren des preußischen Aristokraten von Dietrich zu übernehmen, sie als psychologisches Rüstzeug zu benutzen: eine kalte, seelenlose, ausgeprägte Höflichkeit, die Fähigkeit, im Gespräch mit einer Handvoll banaler, fast nichtssagender, leerer Phrasen auszukommen.
In geschlossenen Lastkraftwagen mit vergitterten Türen und verhängten Fenstern wurden sie in der Dämmerung einzeln oder zu zweit, seltener in kleinen Gruppen, gebracht.
Sie wußten nicht, wohin man sie brachte und zu welchem Zweck. Fast alle Gesichter waren von quälender Ungewißheit, von Sorge und Angst verzerrt.
Ausgewählt hatte man vorzugsweise diejenigen, deren Verrat sich bereits in der Praxis gezeigt hatte, die sich bereits als Kapo, Spitzel oder Provokateure gewisse Verdienste erworben hatten. Vor der Werbung war jeder von ihnen von dem internen Lagerspionagedienst und der Lagerverwaltung geprüft worden.
Den Neuankömmlingen war jede Unterhaltung verboten. Ein Posten mit MPi und Gummiknüppel wachte in der Baracke, in die man sie eingesperrt hatte, darüber, daß die Schweigequarantäne eingehalten wurde.
Zur Erledigung der Formalitäten wurden sie einzeln vorgeführt.
Dietrich hatte Johann die Aufgabe überlassen, das erste kurze Gespräch zu führen, um die Angaben zu überprüfen und die Angeworbenen auf ihre psychische Tauglichkeit zu prüfen.
Die einen benahmen sich mit übertriebener Ungezwungenheit, ganz so, als wollten sie damit ihre verzweifelte Bereitschaft zu allem, was man von ihnen verlangte, betonen.
Andere, mit den erloschenen Augen von Toten, innerlich Zerbrochene, Niedergeschlagene, Heruntergekommene, führten schlaff und willenlos alles aus, was man von ihnen verlangte.
Es gab auch solche, die sich ziemlich ungezwungen benahmen. Sie versuchten deutsch zu sprechen und erklärten sich für prinzipielle Gegner der sowjetischen Gesellschaftsordnung. In den Fragebogen betonten sie, daß sie nicht verwundet oder in einen Kessel geraten seien, sondern sich 'freiwillig in Gefangenschaft begeben hätten.
Einer dieser „Ungenierten", ein stämmiger, breitschultriger Mann mit beweglichem, unruhigem Blick, gab sich, ohne abzuwarten, selbst einen Decknamen:
„Bastschuh."
Als Weiß seinen Fragebogen durchsah, las er unter der Spalte „Dienstgrad in der Armee": Gemeiner eines Bestattungskommandos. Nun gab
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