Im Labyrinth der Abwehr
Taktik, gleichzeitig Peitsche und Zuckerbrot zu bieten.
In den langen stillen Nächten, wenn alles wie ausgestorben schien, brannten in Johann glühende Gedanken, die ihm den Schlaf raubten.
Er hatte die Empfindung, als ob er selbst in die Falle dieser Geheimdirektive geraten sei, die ihm die Möglichkeit nahm, sich den Lehrgangsteilnehmern zu nähern.
Sollte er den Leuten, die er für sich gewinnen wollte, zu verstehen geben, daß all dieses freundliche Wohlwollen der Deutschen nichts anderes als eine Falle war? Aber wie? Dafür mußte er erst ihr Vertrauen erwerben. Doch da alle Deutschen sich darum bemühten, wie konnten dann die Leute zwischen seiner Bemühung und der seiner Kollegen unterscheiden?
Und noch etwas anderes war da. Johann hatte die Rolle übernommen, Deutscher, völlig Deutscher zu sein. Unaufhörlich arbeitete er an der Vervollkommnung dieser Aufgabe, hatte er ein offenes Ohr und Auge für die feinsten Nuancen seiner Umgebung, wiederholte er mit pedantischer Genauigkeit die ideologischen Phrasen: Sie dienten ihm als Schutz, als offizielle Uniform seiner Gedanken. Doch in die Gedanken eines Menschen, der sein Vaterland verraten hatte, einzudringen, zu erforschen, was unter solchen Umständen an Menschlichem in ihm geblieben war, was gestorben war, das wollte Johann nicht gelingen.
Solch einen Menschen aber mußte er verstehen und auch ein logisches Argument für sein Verhalten finden, mußte ihm den so schändlich verlorenen Mut wieder einflößen, ihm Hoffnung machen, ihn zwingen zu glauben, daß es eine ehrenvolle Möglichkeit gab, wieder in die Heimat zurückkehren zu können.
Jeder Lehrgangsteilnehmer mußte in den üblichen Unterrichtsstunden einen Aufsatz zum Thema „Warum bin ich ein Feind der Sowjetunion" schreiben.
Einerseits sollten diese Aufsätze eine Art Unterpfand dafür sein, daß ihre Schreiber sich auch geistig ihren Feinden ausgeliefert hatten; zum anderen ergaben sie Forschungsmaterial, anhand dessen man beurteilte, inwieweit der Verräter noch mit seinen Gedanken der Heimat verbunden war.
Diesen Aufsätzen widmete Johann viele Stunden. Er analysierte angestrengt jeden einzelnen Satz. Er bemühte sich selbst hier noch, die gestellte Dummheit zu erkennen, hinter der sich vielleicht eine noch nicht völlig verlorene Bindung zur Heimat verbarg. Russisch war seine Muttersprache. Die anderen Dolmetscher, die die russische Sprache keineswegs vollkommen beherrschten, konnten den geheimen Sinn nicht völlig erfassen, hinter dem Johann manchmal vorsätzliche Doppeldeutigkeit und geheimen Spott erkannte.
Hagen arbeitete eine Taktik aus, wie die Agenten in das sowjetische Gebiet eingeschleust werden sollten. Er schlug vor, gleichzeitig je zwei Gruppen zu schicken; eine der Gruppen sei zur unmittelbaren Erfüllung der Aufgabe bestimmt, die zweite folge ihr zur Beobachtung und Kontrolle und habe die erste Gruppe, falls diese die Aufgabe nicht erfülle, zu vernichten.
Johann schrieb einen ähnlichen Bericht, wobei seine Vorschläge mit denen Hagens zusammenfielen; doch einige Zeit später überreichte er Landsdorf einen Bericht, in dem er ausführlich darlegte, warum er seinen ersten Bericht für fehlerhaft halte.
Weiß rückte Erwägungen ökonomischer Art in den Vordergrund: Abnutzung der Transportmittel, Treibstoffkosten, Ausrüstungen, Nachrichtenmittel. An zweiter Stelle nannte er die Rechenschaftspflicht gegenüber Berlin. Wenn für die Erfüllung jeder Aufgaben die doppelte Anzahl von Agenten einzuschleusen war, man die Ergebnisse also durch die Tätigkeit der Hälfte dieser Agenten bestimmte, so war die Effektivität dieser Schulen um die Hälfte geringer.
Landsdorf nahm die Selbstkritik Johanns entgegen, machte aber weder von Hagens noch von seinem Bericht Gebrauch; er erklärte, daß die von ihnen vorgeschlagene Taktik nur bei besonders wichtigen Einsätzen angewendet würde.
Mit seinen Mitteln bereitete Johann den Boden für die Möglichkeit vor, die Tätigkeit der eingeschleusten Gruppe zu lähmen, zumindest in dem Fall, daß sich unter ihnen einer befand, der imstande war, die Agenten zu kontrollieren und sie nötigenfalls auszuschalten.
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Der Häftling Nr. 740014 aus dem Versuchslager „OX-247", derselbe, dem Johann seine wahre Stellung enthüllt hatte, traf wohlbehalten in der Schule ein und erhielt nach Erledigung der Formalitäten den Decknamen „As".
In seinem ersten Gespräch mit Johann gab er seiner Unzufriedenheit darüber, daß man ihn aus dem Todeslager
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