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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Worten.
    Nicht nur der Teufelmönch wohnte einer Magd bei, sondern auch ein Prediger einer Nonne. Vielleicht wurde Anna besser behandelt, wenn sie etwas von ihm preisgab. Nur was? Alles, was ihr einfiel, waren Teufelstaten.
    Anna konnte der wachsbleichen Frau wenigstens mit Worten unter die Arme greifen: »Meint Ihr, er spricht einnehmend, ergreifend, kolossal …«
    »Ja, kolossal, das trifft es.« Sie strahlte. »Woher kennst du diese Worte? Hat er dich etwa unterrichtet?«
    Anna unterdrückte ein Würgen. »Bei uns zu Hause gab es Bücher.« Jedenfalls bevor er kam.
    »Dann kannst du mir ja helfen, den Schülerinnen den Unterschied zwischen Gekrakel und Buchstaben beizubringen. Komm hier herüber.«
    Sie sollte mit unterrichten dürfen?
    Schwester Kolossal, wie Anna sie von da an für sich nannte, winkte sie zu dem Tisch der Schreibanfänger und Anna zeigte den Mädchen, wie man den Griffel richtig hielt und die ersten Schriftzeichen ins Wachs drückte.
    Die Nachmittagsstunden waren von da an die Lichtblicke zwischen Hungern, Schlaflosigkeit und Arbeit im Garten oder Stall.
    Im Skriptorium, wie der Schreibsaal für den Unterricht hieß, war nur der gepresste Atem der Mädchen zu vernehmen, die sich mit Schreiben und stummem Lesen abmühten. Wie sollte jemand Lesen lernen, wenn er es nicht laut tun durfte? Grenzenlos, so schien es ihr im Nachhinein, hatte damals Magister Weißfuß ihr mühsames Stottern erduldet, bis sie endlich zusammenhängende Sätze entziffern konnte. Ohne Aufforderung war hier das Sprechen auch beim Lesen untersagt. Oft genug erteilte Schwester Kolossal einen Rutenstreich auf redselige Münder, wenn einer eine Silbe entglitt, oder auf begriffsstutzige Finger, die den Griffel wie einen Löffel umklammerten. Anna zeichnete ganze Geschichten in die Wachstafeln, um wortlos die Bedeutung eines Buchstabens zu erläutern. Schon eigenartig, dachte sie, Lesen lernen, aber nicht sprechen. Alles drehte sich um die innere Stimme, die aber niemals herausgelassen wurde. Es gab kein Lachen, kein unbeschwertes Gespräch, und über allem lauerte die Angst vor dem Karzer.
     
    Mit Ruth, die schon einigermaßen geübt im Schreiben war, traf sie sich auf dem Abtritt. Nebeneinander hielten sie ihre blanken Hintern über den Balken und flüsterten. So erfuhr Anna, dass Ruth, die Tochter eines Kastellans, mit ihren Eltern auf Schloss Ortenburg lebte.
    »Die Ortenburgs? Haben sie einen Sohn namens Heinrich?«
    »Er ist das einzige Kind bisher, klein und schwächlich von Gestalt, so an die sechs, sieben Jahre ist er. Er kränkelt oft, und obwohl seine Mutter noch jung ist, überlebte bisher keines seiner Geschwister das erste Jahr. Kennst du ihn etwa?«
    »Sein Vater hat meinen Vater besiegt, auf einem Turnier.« Sollte sie Ruth erzählen, dass ihre Brüder Heinrich fast umgebracht hatten? Sie schwieg lieber.
    Ruth schien nichts zu bemerken. Sie winkte ab. »Ja, Turniere sind doch öde für uns Frauen, oder? Was habe ich mich gefreut, das Schloss zu verlassen und zur Ausbildung, wie meine Eltern es ausgedrückten, fortzukommen. Wenn ich gewusst hätte, dass schmucken Jünglingen zuschauen, die sich gegenseitig grün und blau schlagen, ein wahres Vergnügen im Vergleich zum Klosterleben ist …« Sie erzählte von einem Knappen, der ihr gefallen hatte und der hoffentlich auf sie wartete, wenn sie zurückkam.
     
    Eines Morgens, den Schweinestall ausmistend, wischte Anna ein paar Hanfschnüre weg, die da zuhauf von den Balken hingen und ihr Gesicht streiften. Sie zog die Schnüre herab und bemerkte, dass sie vierfach verflochten waren. Albert und Julius, schoss es ihr durch den Kopf. Ihnen hatte sie das Flechten gelehrt, für ihre Ledergurte bei den Reiterspielen. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. War das vierfache Band ein Zeichen ihrer vier Brüder? »Ruth«, wisperte sie. Über das Gegrunze der Schweine, hörte Ruth sie nicht. Anna hielt die Aufsichtsnonne im Blick, die vor dem Schweinestall die Abfälle prüfte, was für die Schweine und was doch noch für die Mädchen zu verwenden war, und stapfte zu Ruth. »Wer versorgt am Abend die Tiere?«
    »Die Buben aus dem Männertrakt. Sie haben vormittags Unterricht und müssen nachmittags arbeiten, umgekehrt wie bei uns. So wird vermieden, dass die Geschlechter sich treffen.«
    Anna hängte die geflochtenen Schnüre wieder auf und kratzte ein A in die Strebe. In den nächsten Tagen wurde sie nicht mehr zum Stalldienst eingeteilt. Sie glaubte schon, es hätte sie

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