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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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jemand verpetzt. Doch nach zwei Wochen war sie wieder im Stall. Dort hing eine kurze dicke Schnur, siebenmal verflochten um die Strebe und darunter war ein R, zwei Mal A und ein J gekratzt. Nur Raymund hatte es damals geschafft, sieben Schnüre zu verflechten. Anton, Albert, Raymund und Julius, sie lebten.
    Mit geleertem Bottich und voller Freude stapfte sie zurück ins Gebäude und schlüpfte aus den Trippen. Im Haupthaus durften sie nur barfuß sein, im Gegensatz zu den Nonnen, die mit bestickten Seidenschuhen umherhuschten. So hörten sie sie nie kommen und fühlten sich ständig beobachtet. Anna lieferte den Bottich in der Küche ab und ging zum Abtritt. Dort wollte sie bis zur Mittagshore ausharren, sich einfach nur freuen und überlegen, welche Botschaft sie ihren Brüdern zukommen lassen konnte. Vielleicht gab es noch eine Möglichkeit fortzukommen und ihre Eltern zu bewegen, sie wieder nach Hause zu lassen. Sie schlich den Kreuzgang entlang und stockte. Aus einer angelehnten Tür drang der allvertraute Gebetssingsang von Kinderstimmen. Die kleine Glocke im Kreuzhof, die bis zur Fertigstellung des Kirchturms die große Glocke ersetzte, hatte doch noch nicht geläutet. Wieso beteten die Kinder zwischen den Horen?
    Anna spähte durch den Türspalt. Kinder knieten auf dem Lehmboden in dem leeren Raum, Kleinkinder. Anna suchte die Reihen ab, ob Mechthild darunter war. Doch die Kleinen hatten die Augen verbunden, viele schwankten vor und zurück, alle hielten dabei die Hände zum Gebet gefaltet und murmelten im Gleichklang. Wer kippte, wurde von einer Nonne wachgeschüttelt. Die Kleine in der Mitte hustete. Mechthild! Anna sah, wie sich ihr kleiner Leib zusammenkrampfte. Sie erstickte fast unter dem Tuch. Die Nonne trat zu ihr und klopfte ihr auf den Rücken. Mechthild beruhigte sich zwar, bewegte die Lippen genau wie die anderen wieder, von weiterem Husten unterbrochen. Ein Mädchen hatte kein Tuch vor Augen, seine Augen waren ohne Pupillen. War sie blind oder war das eine Folge der Tortur? Das war schlimmer als eingesperrt sein. Anna ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie wäre am liebsten hineingestürmt und hätte Mechthild geholt. Aber dann würden sie beide im Karzer landen, und das würde Mechthild nicht überleben.
    Nur leere Sprüche hatte ihre Taufpatin gemacht. Ihren Geschwistern, mit Ausnahme von Virginia, die wenigstens singen durfte, ging es überhaupt nicht gut. Oder die Nonnen hatten der Taufpatin Jakobäa etwas vorgegaukelt, ihr, der vornehmen Dame, die es schon für Buße hielt, wenn sie in einem einfacheren Bett schlief und sich selbst, ohne Zofe, ankleiden musste.
    Anna zwang sich weiterzugehen.
    Den restlichen Tag fasste sie einen Plan und wartete in der Nacht, bis die Aufsichtsnonne im Stuhl eingenickt war. Sie schlich sich aus dem Bett, huschte zu Virginia und strich ihr über die Wange. Virginia schlug knurrend die Augen auf.
    Anna presste die Finger an ihre Lippen. »Sei leise. Ich habe Mechthild gesehen, sie muss die ganze Zeit beten, weißt du das?«
    »Sie wollen damit das reine Herz bewahren, das die kleinen Kinder noch haben«, flüsterte Virginia. »Die Äbtissin hat es am ersten Tag erklärt, als du eingesperrt worden bist. Wir anderen müssen uns unser Seelenheil erarbeiten, unser Inneres ist schon beschmutzt. Anfangs hatte Mechthild Albträume, hat geschrien im Schlaf, bis sie sie in der Nacht in den Innenhof in den Schnee setzten, seitdem hustet sie.«
    Der Stuhl der Nonne knarzte.
    »Wir müssen hier weg, lass uns abhauen«, flüsterte Anna.
    Virginia schwieg.
    »Was ist, komm, wir schnappen Mechthild, klettern über die Mauer und rennen um unser Leben. Wir werden es schon bis zu irgendeinem Bauern schaffen und dann schreiben wir der Taufpatin …« Anna rüttelte Virginia, die nichts erwiderte. »Was haben sie mit dir angestellt. Du nimmst alles hin, nur weil du ein bisschen singen darfst?«
    Ein Rutenstreich traf Anna. Die Aufsichtsnonne packte sie grob und zerrte sie zurück zu ihrem Bett. »Ich werde es der Äbtissin melden.«

10. Der Stachel
    Wie berauscht lag Philipp im Bett und wälzte sich hin und her. Was er sich vor Kurzem noch erträumt hatte, war wahr geworden. Ein Auftrag des Papstes! Nur wie sollte er herausfinden, wo Vater die Bücher verbarg? Angenommen er entdeckte einige verdächtige Schriften, wie sollte er sie an Vater vorbei nach Rom schaffen? Als zukünftiger Regent musste er einfach Gott vertrauen lernen, der würde ihm einen Weg zeigen. Gott hatte ihn bis

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