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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Rücken. Anna sah, dass man auch ihren Schwestern das rechte Ohr mit Wachs verschlossen hatten.
    »Wir dürfen nicht reden …«, flüsterte Virginia und wischte Mechthild mit dem Kittel Mund und Nase ab. Anna musste es fast von den Lippen lesen, denn das Klappern der Näpfe und Löffel ringsum übertönte Virginias Stimme. »Sonst trennen sie uns. Aber mit den gleichen Kitteln, haben sie sich selbst ins Fleisch geschnitten. Wenn wir nicht auffallen, bemerken sie uns vielleicht nicht.«
    »Und unsere Brüder?«, murmelte Anna. Hastig, die Suppe schlürfend, schielte sie mit gesenktem Kopf nach den Aufsichtsnonnen, die die Tischreihen im Blick hielten. Mechthild hustete wieder, Virginia strich ihr über den Rücken, während sie mit der anderen Hand aß.
    »Der Männertrakt hat keine Klausur. Es geht ihnen besser als uns, glaube ich.«
    »Woher weißt du das?«
    »Hat eine erzählt, die sie wegen ihrer kurzen Haare für einen Buben gehalten haben, bis sie es dann beim Baden feststellten. Es hat aber lange gedauert. Baden darf man hier so gut wie nie.«
    »Und wie oft muss man beten?«, fragte Anna.
    »Siebenmal am Tag, alle drei …«
    Mechthild hustete wieder.
    »Ist sie krank?«, fragte Anna, sie hatte den Husten zuerst für ein Verschlucken gehalten. Doch Mechthild schnaufte schwer.
    »Fuggerin!«, rief eine Nonne barsch. Alle drei fühlten sich angesprochen, duckten sich und schwiegen. Mechthild presste ihren Ärmel an den Mund, um den Hustenreiz zu unterdrücken.
     
    Auch im Dormitorium mussten sie schweigen.
    Mechthild schlief im Kleinkindsaal und Virginia bedeutete Anna nur noch, dass sie in der Nacht den Ohrstöpsel herausnehmen konnte. »Setz ihn aber zu den Horen wieder ein, sonst wirst du erneut verwachst.«
    Schon scheuchte sie eine Nonne auseinander, teilte Anna ein schmales Bett schräg gegenüber Virginias Liege zu. Die Hände hatte jedes Mädchen auch im Schlaf auf der Decke zu halten, um Unkeuschheiten vorzubeugen. Eine Nonne machte es sich in einem Stuhl neben der Tür bequem, wachte die ganze Nacht im glimmenden Talglicht. Wie sollte Anna, ohne die Beine anzuziehen, sich zu drehen oder auf dem Bauch zu liegen, überhaupt in den Schlaf finden? Ihr Leib verkrampfte sich, jede Faser schmerzte. Sie fing an, so leise wie möglich im Bett hin und her zu rutschen, presste sich in die Strohmatte, lockerte sich wieder. Mit auf den Schultern gekreuzten Armen und kalten Händen stellte sie sich vor, dass sie immer tiefer hinabsank, tiefer und tiefer …

9. Der Catechismus
    Mit dem zwölften Schlag der Klosterglocke wurden Anna die Augen schwer, sie glitt in ein Traumreich. Sogleich schreckte sie hoch, ein Rutenstreich hatte sie geweckt. Schnell zog sie die immer noch klammen Hände unter der Decke hervor. Doch es war keine Bestrafung, sondern alle wurden auf diese Weise zur Mitternachtshore geweckt. Als die Nonne am nächsten Bett ihren Streich ausführte und Anna den Rücken kehrte, wollte sie sich den Wachsstöpsel ins Ohr stopfen, doch er hatte sich unter dem Kissen verformt. Rasch hauchte sie in ihre Hände, knetete ihn wieder zurecht. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass mehrere Mädchen es genauso machten, sich dann aufs Ohr klopfend, vor den Betten aufstellten, bis die Nonne den Befehl zum Abmarsch gab.
     
    Nach einer Weile in den kalten Bänken der Kapelle und im immer gleichen Singsang der Psalmen nickte Anna ein. Sie lehnte sich an eine warme, wenn auch knochige Schulter neben sich.
    »Nicht einschlafen«, flüsterte das Mädchen und stupste sie wach. »Sonst darfst du nicht wieder ins Bett und musst die ganze Nacht hier beten.« Das weckte Anna, sie dehnte die Lider mit jeder neuen Verszeile, wenn sie schwer zu werden drohten.
    »Wie heißt du?«, flüsterte sie.
    »Ruth, und du bist die Anna Fuggerin, wie ich weiß.«
     
    Zur Prim wurden sie wieder geweckt. Anna glaubte, kaum geschlafen zu haben. Nach einem dünnen Milchbrei teilten die Aufsichtsnonnen sie zum Arbeiten ein. Mechthild schmiegte sich kurz an Anna, als sie über die Bank klettern musste, um mit einer Gruppe Kleinkinder den Speisesaal zu verlassen. Sie hatte noch kein Wort gesprochen, wurde immer wieder von Hustenanfällen geschüttelt und atmete rasselnd. Anna sah ihr nach, wie sie ein kleines Mädchen, das gerade erst laufen gelernt hatte, an die Hand nahm. Es könnte Maria sein, die sie da hielt.
     
    Anna musste die Beete im Klostergarten für die erste Saat vorbereiten, Steine entfernen und den Boden lockern. Die Sonne

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