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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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versteckte sich noch hinter der hohen Klausurmauer und die Erde bestand aus festgefrorenen Klumpen, mit Eis überzogen. Bald kroch ihr die Kälte unter den Kittel, ihre Finger verkrampften sich am Spaten. Sie spürte in den Holzschuhen kaum noch ihre Zehen. Bei den Speckfrauen im Garten war es in ihrer Vorstellung warm und sonnig gewesen. Ach, wenn doch nur Gedanken wärmen könnten. Philipp hätte mit Vergnügen in der kalten Erde gestochert. An ihn hatte sie schon lange nicht mehr gedacht. Zu Hause war er im Morgengrauen vor den Dienstboten aufgestanden, um Schnecken zu zerschneiden, die seine Pflanzen fraßen. Ob er irgendwo auf der Welt sein Glück gefunden hatte? Oder womöglich schon in der ›Goldenen Schreibstube‹ regierte und dabei die Untergebenen wie Oheim Christoph schikanierte?
    Ruth trug einen Korb mit Setzlingen herbei. Auch wenn sie schweigen mussten, von einer Nonne streng überwacht, war es doch schön, nebeneinander zu arbeiten. Ab und zu lächelten sie sich an oder zwinkerten sich zu. Als gegen Mittag Sonnenstrahlen die Klausurmauer kitzelten, mussten sie zur Hore der Sext. Anna trippelte möglichst geräuschlos im Singsang der Worte mit den Beinen, um sich aufzuwärmen. Nun wusste sie, warum sich die Mädchen dicht zusammendrängten und die Hände in die Ärmel schoben.
    In der Kapelle entdeckte sie Virginia bei den Chormädchen, die die Liturgie singend begleiteten. Wenigstens hatte Virginia zur Musik zurückgefunden.
    Mechthild war nur bei den Mahlzeiten zu sehen. Sie löste sich von den anderen Kleinkindern und kletterte zu ihnen auf die Bank, schlürfte ihre Suppe, von Hustenanfällen begleitet. Vielleicht blieb den Kleinsten das Beten erspart, hoffte Anna. Beim kargen Mittagsmahl, das immer aus Suppe und Brot bestand, schlief sie dann fast wieder, so schwer waren ihre Glieder von der ungewohnten Arbeit und der wohltuenden Wärme drinnen. Nach dem Essen glaubte sie noch mal hinausgeschickt zu werden, aber sie sollten in den ersten Stock kommen, in den Saal, der über dem Refektorium lag. Anstelle von langen Tischen standen hier Einzeltische mit schrägen Pulten. Eine Schreibstube? Annas Herz klopfte schneller. Hier würde sie sogar den Boden scheuern, wenn es sein musste. Eine Nonne trat herein und wurde im Chor mit Namen begrüßt. Anna weigerte sich, wie bisher, sich ihren Namen zu merken. Für sie war eine Kuttenträgerin wie die andere, sie unterschied sie über ihre Aufgabenbereiche: Küchennonne, Aufsichtsnonne oder Gartennonne. Ob das dann immer dieselben waren, war gleich. Nur die Winznonne tauchte nirgends auf. Vielleicht war sie für die Karzer-Insassen zuständig und wohnte dort.
    »Ist das ein Aussatz?« Die Lehrnonne deutete auf Annas verkrustete, immer noch geschwollene Nase.
    Sollte sie die Wahrheit sagen? Die Nonne wartete keine Antwort ab, sondern wies ihr einen Platz an den hinteren Tischen zu.
    »Wenn du des Lesens mächtig bist, darfst du dir erbauliche Literatur aus der Wandnische nehmen. Ansonsten übst du wie die anderen die Buchstaben mit Griffel und Wachsplatte.«
    Fünf Bücher lagen in der Nische: Die Benediktinerregel, eine lateinische Grammatik, eine Fibel für Leseanfänger, Heiligenlegenden und – Anna wunderte sich darüber sehr – der ›Catechismus‹. Hatte den nicht Martin Luther verfasst? Als Kind las sie darin, fand das große, schwere Buch später auf Severins Scheiterhaufen wieder. Plötzlich fiel ihr Sidonia wieder ein, die von Canisius’ ›Catechismus‹ gesprochen hatte, hier war er, der ›Kleine Catechismus für die gemeinen Laien und junge Kinder geschrieben‹. Er war sogar in Deutsch verfasst und enthielt Vorschriften, wie man zu glauben hatte, dabei war das T immer durch ein Kreuz ersetzt. Sie begann zu lesen.
    Canisius fragte, welchem Glauben man angehörte und woran man einen Katholiken erkenne. Er gab sich die Antworten gleich selbst: ›Bei dem, dass er sich bezeichne mi† dem Heiligen Kreuz und dass er meide† alle Ke†zerei und Irr†um …‹
    »Ein großer Mann, Pater Canisius, du kennst ihn?« Die Nonne war zu ihr getreten. Als sie Annas verstöpseltes Ohr sah, trat sie auf die linke Tischseite.
    »Ja, er ist der Beichtvater unserer Familie.«
    »Und so gelehrt!« Die Schwester sah sie mit erwartungsvollen Augen an.
    Eher wie ein nie geleerter Abtritt, dachte Anna. Wenn sie das sagte, kam sie gleich wieder in den Karzer.
    »Ich durfte einigen seiner Predigten beiwohnen, sie waren geradezu …«, die Schwester rang nach

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