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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Kreuzgang entlang. Sobald das Wachs erkaltet war, ließ der Schmerz nach, es rauschte und pochte im Ohr. Vor einer Steinpforte blieben sie stehen, verzierte Sockel von Säulen rechts und links. Die Nonnen streckten sich nach etwas, gleich darauf spürte Anna etwas Nasses im Gesicht. Sie zerrten sie über eine Schwelle. Golden schimmerte es durch den Wickel. Anna hörte Schritte und hallendes Geflüster. Man schob sie in eine Bank. Sie stolperte über Beine und fing sich an Rockschößen ab. Hatten die anderen auch die Augen verbunden und ein Ohr verstöpselt? Sie schärfte ihr linkes Ohr, doch keiner sprach mehr. Ob es Kinder oder auch Nonnen neben ihr waren? Sie bräuchte nur die Hand auszustrecken und würde jemanden berühren. Mechthild? Virginia? Sollte sie die Augenbinde lösen? Jemand drückte ihr etwas in die Hand. Eine Kette? Hastig tastete Anna nach ihrem eigenen Kettchen mit dem Affen, es hing noch um ihren Hals, wenigstens das. Die Perlen in ihren Händen waren kantig geschliffen, eine grobe Faser dazwischen geknotet. Ein Rosenkranz. Eine Glocke ertönte und warme, helle Stimmen erhoben sich ringsum.
    »Credo in Deum Patrem omnipotentem, creatorem caeli et terrae; Et in Iesum Christum, Filium eius unicum, Dominum nostrum, qui conceptus est de Spiritu Sancto, natus ex Maria Virgine …«
    Die Litanei, die schon ihre Mutter gebetet hatte.
    Jemand erteilte ihr eine Kopfnuss. Anna riss sich die Augenbinde ab und wandte sich um. Eine Nonne forderte sie selbst laut betend auf, mitzusprechen. Also drehte sie sich wieder in Richtung Altar und fiel mit in den lateinischen Singsang ein.
    Zwischen Aufsichtsnonnen saßen reihum Mädchen, die jüngste ein Kleinkind, die älteste eine erwachsene Frau. Alle trugen dieselben Leinenkittel wie Anna und verbargen ihr Haar unter Tüchern. Bei dem Mädchen neben sich erkannte sie auch das glatte mit Wachs verschlossene Ohr. Für diesen Seitenblick erteilte ihr die Nonne wieder einen Schlag auf den Kopf. Krümel fielen von ihrer mit Beinwalla und Blut verkrusteten Nase. Mit gesenktem Haupt murmelte Anna weiter, suchte nur mit den Augen die Reihen ab und versuchte ihre Schwestern zu finden. Doch alle hatten den Kopf gesenkt. Hatten sie auch alle Wachs im Ohr oder bekamen das nur die Ungehorsamen wie sie?
    Wo waren Mechthild und Virginia?
    Das Gebet schloss mit der Fürbitte: »Herr, verleihe auch Anna Fuggerin Kraft deine Stimme zu finden.«
    Verstohlen wandten sich einige Gesichter ihr zu.
    Danach drängten die Mädchen von den Nonnen geleitet aus den Bänken und marschierten in Zweierreihen aus der Kapelle. Alle hatten die Hände in die Ärmel geschoben und Anna reihte sich ebenfalls ein. Als sie im Kreuzgang über den Innenhof sah, glaubte sie, Virginia in der Reihe zu erkennen, doch vielleicht täuschte sie sich.
    Angesichts der vielen Abzweigungen und Nischen ahnte sie auch, warum ihr vorhin die Augen verbunden worden waren. Sie sollte nicht mehr in den prunkvollen Gästetrakt zurückfinden, in dem ihre Taufpatin logiert hatte.
     
    Im Refektorium, einem riesigen Speisesaal mit an den Tischen verbundenen Holzbänken, stellte sich Anna zur Essensausgabe an und hielt Ausschau nach ihren Schwestern. Eine Küchennonne schöpfte jeder Suppe in einen Holznapf. Aus einem großen Korb durften sie sich ein Stück Brot dazu nehmen. Nach und nach beugten sie sich immer tiefer in den Korb. Das Mädchen vor Anna wühlte lange, fischte schließlich zwei Kanten heraus.
    »Für diese Sünde der Völlerei bekommst du gar keines.« Die Küchennonne schlug ihr mit der Schöpfkelle auf die Finger und das Mädchen musste ohne Brot gehen.
    Als Anna an der Reihe war, lagen nur noch alte, steinharte Kanten auf dem Korbboden. Sie griff das hellste Stück, hoffte, dass der Lichtfleck kein Schimmel war, und sah sich nach einem freien Platz um.
    Ihr Herz hüpfte. Virginia saß an einem Tisch vor den Fenstern, mit Mechthild neben sich. Die Kleine reichte kaum zum Napf und unter dem Tisch baumelten ihre Beinchen in der Luft. Auch sie trug Tuch und Kittel, löffelte wie eine Große alleine ihren Brei.
    Anna bat zwei Mädchen zu rutschen und zwängte sich mit Brot und Napf ihren Schwestern gegenüber in die Bank. Virginia klappte der Mund auf. Geschwind reichten sie sich die Hände, schlangen die Finger umeinander. Mechthilds Augen leuchteten kurz auf, als sie Anna erkannte, dann bekam sie einen Hustenanfall und spuckte Suppe über den Tisch. Virginia löste sich von Anna und klopfte Mechthild den

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