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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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buchstabenverschnörkelte Ranke. Genau umgekehrt, wie es in den Büchern war, die sie im Auftrag von Canisius kopierte oder illustrierte. Trotzdem achtete sie darauf, dass in ihrem Stundenbuch ein paar verständliche Worte vorkamen. Manchmal versteckte sie zu ihrem eigenen Vergnügen ein Sprichwort, ein paar Zahlen oder ein Zitat in mehreren Seiten unverständlicher Worte. Nach vielen Wochen konnte sie die dann zu ihrem eigenen Vergnügen zusammensuchen. Dieses Spiel erinnerte sie an Großvater Raymunds bunte Fensterstücke im Wehrgang der Kleesattlergasse. Manchmal ergaben sich auch zufällig Sätze, die wie Botschaften klangen. Das gefiel Anna, aus unverständlichem Wirrwarr, ohne Absicht, einen Sinn zu erschaffen. So war es ihr damals, nach dem Besuch ihres Vaters, gelungen, ihre Angst vor den leeren Seiten zu überwinden. Bis dahin brach ihr jedes Mal, wenn sie die Feder ins Tintenfass tauchte, der Schweiß aus und ihre Schreibhand zitterte, doch sie wollte sich in den ersten Wochen im Katherinenkloster zwingen, etwas niederzuschreiben. Nur dies konnte ihr helfen, die nächtlichen Grübeleien zu unterbrechen, wieder in den Schlaf zu finden und den nächsten Tag zu überstehen. Das Einzige, was ihr mühelos gelang, waren die Übungsstunden mit Bianka. Sie zeichneten und schrieben gegenseitig auf der Wachstafel. Kurz vor ihrer Profess brachte sie Biankas Eigenheit, nicht zu sprechen, darauf und die Gewissheit, dass auf diese Weise niemand ihre Gedanken entschlüsseln konnte. Ihre um die Feder verkrampften Finger lockerten sich und ein erster und ein nächster Strich gelangte aufs Bütten. Sie hatte sich selbst irgendwo mitten ins Buch gezeichnet, wie sie im Karzer kauerte und ein Initial mit dem Buchstaben A gemalt. A wie Anna hinter Klostermauern. Auch wenn es keine Worte für das erlebte Grauen gab, so schaffte sie es nun, Schemen, Bilder und Erinnerungsstützen zu zeichnen. Wörter darstellen, nicht schreiben. Vergeblich würde sich jemand an der erfundenen Sprache und Geheimschrift abmühen, denn die eigentliche Botschaft steckte in den Ranken und Zeichnungen. Alles was in ihrem Leben und mit ihrer Familie geschehen war, war darin festgehalten. Wenn Anna durch die Seiten blätterte, konnte sie es mit ihren eigenen Worten wieder zum Leben erwecken. So hatte sie einen Kodex geschaffen, für den es einen unauffindbaren Schlüssel gab, der nur in ihrem Kopf saß. Ein anderer würde vielleicht eine ganz andere Geschichte darin finden, vielleicht seine eigene?
    Angefangen beim Turamichele und der Seherin auf dem Perlachplatz über die kleinen Teufelchen in der Luft, die sie im Traum in der Teufelsnacht getriezt hatten bis zu der Greisin im Mädchenleib, ihrem neuesten Eintrag.
     
    Pater Canisius hatte ihr damals angeboten, Buchmalerin zu werden. Dafür sollte sie mit sechzehn auf die Liebe zu einem Mann und eigene Kinder verzichten. Sie durfte zwischen ewigem Gebet und Gebet mit Malerei wählen. Nun war sie vierunddreißig und malte für die Königshäuser der Welt. Der Traum, Künstlerin zu sein, war in Erfüllung gegangen, auch wenn sie dafür auf dem Totenberg ihrer Geschwister kniete. Doch das Ausmaß ihres Verzichtes begriff sie erst, als wenige Tage später die Steinsetzer ins Kloster kamen, die Drehlade an der Pforte herausnahmen und anstelle des Rades einen Mauerstein einfügten. Danach errichteten sie eine haushohe Klausurmauer ähnlich wie die in Kühbach zwischen Kreuzhof und Wirtschaftsteil.
    Im Kapitelsaal verkündete Priorin Susanna, dass jegliche Verbindung mit der Außenwelt nun verboten war. Besuchsanfragen müssten bei ihr eingereicht werden, sie würde dann von Pater Canisius, der sich auch als Beichtvater zur Verfügung stellte, geprüft. Ihre Stimme hatte einen härteren Tonfall als sonst. Canisius saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in einem roten Ehrensessel unter der Basilika San Lorenzo. Anna betrachtete das Bild, es war in der Mitte mit mehr Schnörkeln als die anderen unterteilt. Oben wurden dem heiligen Lorenzo die Augen ausgestochen und unten der heilige Sebastian gesteinigt. Sie begriff, zwei Bilder waren zu einem zusammengefügt, und hatte die siebte Basilika entdeckt.
     
    Martha und, wie hieß das andere Mädchen noch, Erika, fehlten auf der Novizinnenbank. Ungewöhnlich, dass die Priorin das nicht erwähnte, bevor sie mit ihrer Rede begann.
    »Pater Canisius hat um Beistand gebeten«, sagte sie. »Wenn er ihn bekommt, dürfen wir den Kaiser baldmöglichst als Gast

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