Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
Vom Netzwerk:
eine solche, die Donner erzeugt.«
    Zum Glück lagen alle Bestandteile für die Rezeptur im Keller bereit. Philipp hätte nicht gewusst, wie er sie beschaffen sollte. Am Ende schäumte tatsächlich eine trübe Flüssigkeit im Kolben auf, den er ganz an die Kante des Tisches stellte. Vaters vermaledeiter Alchimistenkeller würde gewaltig durcheinandergeraten, wenn das hier hochging. Mit geschwärzter Nase, hustend und prustend würde Vater ins Freie stürzen. Sich in Philipps Garten erholen und wieder Luft schöpfen. Vielleicht würden ihm zum ersten Mal die Augen aufgehen für die Schönheit der Pflanzen. So vollkommen wie eine Blüte konnte ein Mensch nie sein, abgesehen von Adelaida, aber die war durch Vaters Pfuscherei zum Krüppel gemacht worden.
     
    Bevor er das Gewölbe verließ, überprüfte er noch mal den Ablauf. Vater würde zerstreut wie immer im Athanor nachlegen und nach der letzten Rezeptur suchen. Beiläufig würde er dabei mit einem Stab in der zuletzt angesetzten Mischung rühren. Entweder fiel der Glaskolben herunter oder er würde an der ungewöhnlichen Farbe im Schein der Kerzen erkennen, dass sein Versuch missglückt war und ihn wegkippen. Nur die Rezeptur, auf der in kleiner Schrift ›für den Kaiser‹ stand, würde er nicht mehr finden. Die warf Philipp in den Athanor. Mehr brauchte es nicht, um Vater zu belehren, mit wem er es zu tun hatte.

Drittes Buch
    Tollkäfig
    Augsburg, 1581–1582
     
     
    Wie wild der Affe auch immer ist,
    so fängt ihn doch sein eigenes Aussehen,
    wenn er im Spiegel sein Ebenbild sieht.
    Burkhart von Hohenfels, Minnesänger 1220–1240

1. Die Gänsefeder
    nna sah von ihrem Stundenbuch auf und streckte sich. Ihr Rücken schmerzte, wie immer, wenn sie ganz im Zeichnen und Schreiben versunken war. Gleich würde es zur Vesper läuten, oder hatte sie es überhört? Nachts wachte sie kurz vor dem ersten Glockenschlag auf und auch tagsüber spürte sie meist, wann es zur nächsten Hore läutete. Nie hätte sie geglaubt, dass sie zwanzig Jahre Klausur aushalten würde. Seit man ihr die Nachricht von Mechthilds Tod überbracht hatte, war für sie die Zeit stillgestanden. Wie sollte sie weiterleben, wenn eines ihrer Geschwister nach dem anderen starb. Doch ein nächster Tag und ein weiterer kam und verging. Aus Sidonias Briefen erfuhr sie, dass ihr Bruder Julius mit dreizehn Jahren im Kloster Holzen bei einem Unglück im Wald gestorben war. Auch Albert, ihren quirligen, kleinen Bruder, raffte im selben Benediktinerkloster ein Fieber dahin. Sieben Jahre war er nur geworden.
    Vor vier Jahren wählten sie die sechs Nonnen zur Subpriorin im Katherinenkloster. Sie, Anna Fuggerin, Verächterin des Papsttums, war Stellvertreterin der Priorin!
    Dabei fühlte sie sich trotz Kutte, Schleier und Keuschheitsgelübde immer noch nicht als Nonne. Sie achtete nur kaum mehr auf ihr Äußeres und spürte den Habit nicht mehr. Mit vierunddreißig war sie zum Heiraten zu alt und zum Sterben zu jung.
    Sie grinste über einen Einfall und tauchte die Feder noch einmal in das Tuschehorn. Eine Greisin in einem Mädchenleib und ein jugendlich glattes Gesicht auf dem gebrechlichen, ausgezehrten Leib einer Greisin wollte sie in ihrem Stundenbuch festhalten. Dazwischen einen Spiegel oder ein Glas, wie sie sich gegenseitig betrachteten. In völlig erstarrter Haltung bewegte sich nur ihre Rechte zwischen Tintenhorn und Buchblatt hin und her. Als sie sich zurücklehnte, durchfuhr sie der Rückenschmerz wieder. Sie würde Bianka bitten, sie ein wenig durchzukneten. Eine Frau mit magischen Händen war aus der Winznonne von damals geworden. Bianka hatte viel von Schwester Demetria über Heilkunde gelernt und pflegte ihre Lehrmeisterin, seit sie kaum noch laufen konnte. Auch mit der Leibesfülle hatte sie sich Demetria angenähert. Biankas Haut war nach wie vor über und über mit Sommersprossen übersät und stets drängten sich ein paar vorwitzige rote Haarsträhnen unter dem Schleier hervor. Sie durfte sogar das Kloster verlassen, um Alte und Kranke in den umliegenden Gassen zu besuchen. Ihre stumme Art war sehr beliebt, sie trug ihre Wachstafel immer noch am Gürtel, aber hörte meist nur zu und legte die Hände auf.
     
    Anna lockerte die Schultern, wechselte die Zeichenfeder gegen eine breitgeschnittene Gänsefeder und schrieb ein paar Zeilen auf die linke Seite im Buch. So hielt sie seit Jahren im Bild einen Gedanken, ein Erlebnis, eine Erinnerung fest. Der Wortlaut war nur Beiwerk, Ausschmückung,

Weitere Kostenlose Bücher