Im Labyrinth der Fugge
begrüßen.«
Ach, der Kaiser, dachte Anna, deshalb müssen alle wie Püppchen spuren. Canisius griff nach den Sternen und das Fußvolk duckmäuserte.
»Bis dahin«, Susanna sog Luft ein, »sollte die Klausur durchgeführt und auch in euren Köpfen verankert sein. Keinerlei Gaben von Verwandten an der Pforte, aber das ist ohne Rad sowieso schwer möglich.«
Canisius zupfte sich ein Staubkorn von der Soutane und streckte die Beine aus. Er genoss die Verschärfung der Klosterregeln sichtlich.
»Leider muss ich euch auch etwas Trauriges mitteilen …«, fuhr die Priorin fort und Annas Herz schien stillzustehen. Wer von ihren Geschwistern war gestorben?
»Unsere beiden Anwärterrinnen auf die Braut Christi, Martha und Erika, haben sich entschlossen, doch nicht den Schleier zu nehmen und zu ihrer Familie zurückzukehren. Betet für sie. Der Kurier war heute hier und hat mir …«
Anna hörte nicht mehr zu. Sie atmete erleichtert auf, keine weitere Todesbotschaft. Auch wenn es schmerzte, dass sie schon wieder eine Freundin verloren hatte. Sie stellte sich Martha vor, die von den ausgebreiteten Armen ihrer Mutter empfangen wurde, von ihren vielen Schwestern umringt. Familie, ja, Martha hatte eine.
»Anna Fuggerin.«
Sie sah auf.
»Ein Brief für dich, willst du ihn dir nicht holen?«
2. Die Galläpfel
»So, so, eine Fuggertochter möchte in der Farbenlehre unterwiesen werden.« Wie ein Heiligenschein beschattete ein breitkrempiger Strohhut Schwester Ochatas Gesicht, den sie noch über ihren Schleier gestülpt hatte. Anna war in den Würzgarten gegangen, der neben dem Konventgebäude lag, und hatte Ochata Canisius’ Anliegen überbracht. Der Sommer war zurückgekehrt, wenn auch nicht mehr in der glühenden Hitze wie vor dem Eishagel.
»Den Schlussstein im Chorgewölbe ließ eine Fuggerin damals setzen. Als würden die Fugger allein St. Katherina am Leben halten.« Ein scharfer Schweißgeruch stieg Anna in die Nase. Ochata tropfte das Schwitzwasser vom Kinn. »Wie du siehst, wird es heuer nichts mit dem Gemüse- und Kräuteranbau. Was das Unwetter stehen ließ, ist erfroren oder verfault. Hoffen wir, dass die Galläpfel verschont wurden.«
Galläpfel? Anna sah sich um, es gab keinen Apfelbaum im Kloster. Nur eine große Eiche wuchs neben der Klausurmauer. Ihre mächtigen Äste schwangen sich sogar weit hinüber bis zu den Ställen. »Ihr meint von der Eiche da?«, fragte Anna. Schwester Ochata wischte sich mit dem Kuttenärmel übers Gesicht. Ganz gewiss hielt sie Anna zum Narren.
»Schön, die Baumarten kennst du, das ist ein Anfang. Dann bring mir die Galläpfel, sonst haben wir bald keine Tinte mehr. Sie wachsen auf der Unterseite der Blätter. Die Gallwespe mit ihren Eiern erzeugt die Geschwüre. Also los, hinauf.« Sie stützte sich auf ihre Harke wie in Erwartung eines Schauspiels.
Wie sollte Anna da hinaufklettern? Sie konnte zwar versuchen, sich mit Zehen und Fingern in die grobe Baumrinde zu krallen und hochzuhangeln, aber die Äste ganz außen waren dünn und würden ihrem Gewicht kaum stand halten. Aber der Blick über die Klausurmauer reizte sie, sollte sie sich darüber schwingen und davonlaufen? Sie holte ein Seil aus dem Refektorium und band einen Stock daran. Den Stock warf sie hoch in den Baum über die breiten Äste. Als sie ihn wieder auffing, zog sie ihn mit dem Seilanfang zusammen, streifte so über die Zweige, ruckelte und riss daran, bis es Blätter regnete. Auch kleine Äste prasselten auf sie beide nieder.
»Weißt du wie alt der Baum ist?«, erboste sich Schwester Ochata und klopfte ihre Hutkrempe ab. »Der steht seit Kaiser Augustus die Stadt gründete und du beschädigst ihn einfach.«
Anna hob einige Blätter auf und betrachtete die Rückseite. Kleine Kugeln wie unreife Kirschen wuchsen darauf. Die Galläpfel.
Während Ochata, vor sich hinmurmelnd, versuchte, die Beete wieder in Ordnung zu bringen, setzte sich Anna in den Schatten der Eiche und pflückte die Galläpfel von den Blättern. Bald bedeckte milchiger, zäher Saft ihre Hände. Sie fragte sich, wie das tiefschwarze Tinte ergeben sollte. In ihrem verwöhnten Patrizierstochterleben hatte sie bisher die fertige Tusche im Tintenfass bekommen, verschwendete ein Vermögen, als sie ihre ganzen Papiere damit tränkte.
Was war mit ihren Sachen geschehen, ihrem Schreibpult, dem Silberstift, den Federn und Bütten, wer bewohnte ihre Kammer daheim? Sie starrte auf die Mauer, dahinter, nur ein paar Häuser weiter, lag ihr
Weitere Kostenlose Bücher