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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Elternhaus.
    »Schmier es ruhig ins Gesicht.«
    Anna zuckte zusammen, als Ochata sie anredete.
    »Die Gerbsäure heilt auch deine Nase.« Angenehm kühl fühlte sich der Gallapfelsaft an, auch wenn alles klebte.
    »Und damit soll man auch schreiben können?«
    »Erst musst du sie ein paar Wochen zum Trocknen auslegen, dann kochst und zerstampfst du sie und gibst noch Eisensulfat und Gummi Arabicum dazu. Damit es sich leichter schreiben lässt und die Tinte nicht klumpt. Du wirst sehen, die Gallustinte hinterlässt beim Schreiben eine helle Schleimspur wie von einer Schnecke und trocknet erst innerhalb eines Tages dunkel auf. Deshalb hat man im Skriptorium so große Fenster einbauen lassen. Trotzdem ist es auf bräunlichem Pergament ein anstrengendes Werken, meine Augen sind längst zu schwach dafür.«
    »Wie schafft man es, so vollkommene Buchstaben zu schreiben, wenn man sie kaum sieht?«
    »Nun, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, das kann dir nur mit Übung gelingen. Leider verblasst die Tinte nach ein paar Jahren und muss mit Salzsäure aufgefrischt werden.«
     
    Schwester Ochatas Belehrungen klangen ihr auch noch viele Jahre später im Ohr. Anna schlug in ihrem Stundenbuch die Seiten mit den Eichenblättern auf. Dort hatte sie einen Querschnitt durch einen Gallusapfel gezeichnet und in der Initiale der Schriftseite war eine Nonne mit einem Heiligenschein aus Stroh. Schwester Ochata, inzwischen hochbetagt, werkelte weiterhin im Garten wie damals, auch wenn sie kaum noch aufkam und meist im Beet kniete, bis ihr jemand aufhalf. Sie hatte Anna alle Arten der Tintenherstellung gelehrt. Neben der Gallustinte, die Rußtinte, die sie im Kloster für weniger wertvolle Manuskripte und den Briefverkehr verwendeten. Am liebsten schrieb Anna mit Schlehentinte. Aus den schwarzen Beeren, die ins Kloster geliefert wurden, kochte Schwester Benefica eine köstlich-saure Marmelade, die sich beim Essen pelzig auf die Zähne legte. Die Schlehenzweige überließ sie den Schreiberinnen, wie sie Ochata und Anna nannte. Anna kochte die Dornen in Wein ein und trocknete sie in Pergamentsäckchen an der Sonne. Zum Schreiben löste sie die pulvrige Substanz dann wieder in warmem Wein auf.
    Zwischen die Seiten des Stundenbuchs hatte sie auch den Brief gelegt, den ihr die Priorin damals gegeben hatte.
     
     
     
     
     
     
     

    Sie strich über das brüchig gewordene Bütten mit dem Pfauenwappen, das sie das erste Mal auf dem Turnier gesehen hatte. Der kleine Junge von damals, der seinem Vater freudig zum Sieg gratulierte und später von ihren Brüdern fast umgebracht worden war, hatte ihr einen Liebesbrief geschrieben. Dabei kannte er sie doch gar nicht. Oder gab es eine Verbindung zwischen ihnen, weil sie ihn als allerersten Menschen gesehen hatte, als er aus seiner Mutter geschlüpft war? Dann müssten alle Menschen zu ihrer Wehfrau ein besonderes Verhältnis haben, allerdings wusste Anna nicht mal, wie sie auf die Welt gekommen war. Es gab vieles, das sie aus ihrem früheren Leben nicht wusste und das sie nun nicht mehr erfragen konnte. In einer krakeligen Kinderschrift hatte Heinrich diese wenigen Worte geschrieben. Später erfuhr sie, dass Ruth nach dem Brand in Kühbach auf Schloss Ortenburg zurückgekehrt war und Heinrich von Anna erzählt hatte. Er glaubte Ruth nicht, dass Anna tot sein sollte und ließ nach ihr suchen. Damals hatte es ihr Kraft gegeben, nachdem sie so viele Menschen verloren hatte. Es war, als würde sie nicht nur mehr für sich weiterleben müssen, sondern auch für ihn, den kleinen Jungen, sieben oder acht Jahre alt, der bei seinen ersten Schreibversuchen an sie dachte.
    Bestimmt war er längst verheiratet und hatte Kinder. Misstrauisch las sie seine weiteren Briefe, es stand nie etwas von anderen Frauen darin, er berichtete von seinen Reisen und Turnieren, von Büchern, die er für sie gekauft hatte, denn Lesen gehörte nicht zu seiner liebsten Beschäftigung. Er freute sich schon, wenn sie ihm eines Tages erzählte, was in den Büchern stand, schrieb er. So warf er ihr Leckerbissen vor, als genügte seine Liebe nicht, sie zu überzeugen, über die Klostermauer zu springen. Er flocht noch das Geschehen in der Welt mit ein, um sie mit Neuigkeiten zu versorgen und am Ende jedes Briefes versprach er, dass er auf sie wartete. Hoffentlich war er glücklich, dachte sie und legte seinen ersten Brief zurück ins Buch. Die anderen bewahrte sie in ihrem Kissen eingenäht auf, denn sie hatten nicht den

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