Im Labyrinth der Fugge
sie noch katholisch gewesen. Gezwungenermaßen, ein Neugeborenes fragte man nicht bei der Taufe. Heinrich war mitsamt seiner Familie Lutheraner und sie würde zu seinem Glauben übertreten, um seine Frau zu werden.
Beim letzten Pferde- und Fuhrmannswechsel, kurz vor Maulbronn, gegen Mittag des neunten Tages sah sie den Mönch wieder. Er spielte Tricktrack hinten im Wirtshaus an einem Tisch. »Konrad«, sie zupfte den Student am Ärmel. »Dieser Kuttenbruder folgt uns seit Tagen.«
»Der Zisterzienser?«
Anna nickte.
»Das kann nicht sein. Maulbronn ist ein Zisterzienserkloster, hier wimmelt es nur von denen.« Und wirklich, außer dem baumlangen, gab es hinter dem Ausschank noch einen dicken und zwei alte draußen am Brunnenrand. Selbst wenn es derselbe war, so war er ihnen nur zufällig gefolgt, um zu seinem Kloster zu gelangen. Und doch kam er ihr bekannt vor. Seit sie für Canisius Bücher bemalte, war sie etlichen Ordensbrüder begegnet, Benediktinern, Dominikanern und auch Zisterziensern. Sie glaubte schon, ein von ihrer Kunst Besessener war ihr gefolgt. Das müsste dann schon Canisius selbst sein. Ab und zu schwappten seine Worte und Taten in ihr hoch, obwohl er unendlich weit weg zu sein schien. Ein vollkommenes, reines Weib war sie für ihn. Nein! Mit jeder Umdrehung der Kutschräder wollte sie ihn aus ihrem Kopf verdrängen. Hoffentlich sah sie ihn nie wieder. Nichts, gar nichts mehr, sollte sie am Ziel ihrer Reise an ihr früheres Leben erinnern. Morgen Nachmittag, am fünfzehnten Oktober der alten julianischen und am fünfundzwanzigsten Oktober 1582 des neuen, nach Papst Gregor benannten Kalenders, würden sie in Heidelberg eintreffen.
6. Tölpel
»Wieso habt Ihr mir nicht mitgeteilt, dass meine Schwester eine Flucht plante?« Philipp hielt ihm die letzte Seite des Stundenbuchs unter die Nase. Noch nach Atem ringend, war Canisius die Rathausstufen hinaufgeeilt. Ein Gehetze war das, Rathaus, Kloster, Kloster, Rathaus. Er schnaufte. »Dann …, dann … habt Ihr es entziffert?«
»Das kann jeder Esel.«
Canisius las: »Gott allein die Ehr, diese Kutte trage ich nimmermehr!« Er hatte gedacht, in dem Buch gebe es keinen einzigen verständlichen Satz und dieser hier reimte sich sogar. Unwillkürlich musste er an Feddo denken, den er reumütig wieder in seine Dienste genommen und der trotzdem immer einen Vers auf den Lippen hatte wie so ein Zahnbrecher vom Perlach. Jedes Mal glaubte Canisius, er verspotte ihn.
Nun hatte Anna ihn auch verhöhnt. Noch vor zehn Tagen hätte er ihr die Welt zu Füßen gelegt.
»Eine entsprungene Klosterschwester aus meiner Familie, welche Schande!« Der Graf rannte herum wie ein Gassenjunge, das Gesicht flammend rot. Gleich würde ihn der Schlag treffen. »Zehn Tage ist sie weg. Zehn, wisst Ihr, was das heißt?«
»Rechnet Ihr nach der neuen oder der alten Zeit?«
»Jetzt fangt nicht auch noch damit an, die Ratsherren unten im Kerker streiten sich schon darüber. Nach dem katholischen Kalender ist meine Schwester noch gar nicht verschwunden, versteht Ihr? Das riecht nach einer lutherischen Verschwörung!«
»Lutherisch?« Canisius grübelte. Anna hatte zu Luther nie besondere Neigungen gehabt.
»Sie unterstand doch Eurer seelsorgerischer Betreuung. Hat sie nicht geäußert, dass ihr das Klosterleben missfalle?«
»Davon ist mir nichts bekannt«, sagte Canisius knapp. »Immerhin war sie Subpriorin und …«
»Nur ein Scheinamt, machen wir uns nichts vor. Damit wolltet Ihr sie noch mehr an das Nonnenleben binden, ohne ihr wirkliche Pflichten aufzubürden. Allein um sich an ihrer Blätterbemalung, oder wie auch immer Ihr das nennen mögt, zu bereichern.«
Ein Tölpel im Grafenstand, mehr war er nicht, dieser Fuggersohn, Canisius hatte es schon immer geahnt. Was der verstorbene Papst an ihm gefunden hatte, weiß der Herrgott allein. Wie ein Gockel mit Goldhelm sah er aus, gleich würde er zu krähen anfangen, wenn das so weiter ging. Canisius setzte sich erst mal. Wenn er jetzt auch noch den Kopf verlor, dann würde Anna nie mehr gefunden werden. Aber vielleicht lag genau das in ihrer Absicht?
»Die Flucht war lange vorbereitet und Ihr sollt nichts gemerkt haben? Die ganze Familie gerät in Verruf. Das hat Folgen, Pater.«
Warum zog er ihn mit hinein, wenn es eine Familienangelegenheit war? Er hatte sich immer um Annas Seelenheil bemüht. Zuletzt hatte er sich ihr sogar anvertraut. »Ihren jugendlichen Widerstand hat sie abgelegt«, sagte Canisius so ruhig wie
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