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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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die Pforte entkommen war, lebte nicht mehr. Schließlich beteten die Verbliebenen im Kapitelsaal, als könnten sie Anna in ihrer Mitte herbeischwören.
    Canisius durchstöberte das Skriptorium. Nicht mal ihre Zeichensachen hatte sie mitgenommen. Alles lag so da, als würde sie gleich durch die Tür kommen und weiterarbeiten. Er ging in ihre Zelle und wühlte in der Truhe. Kutten und weltliche Kleider lagen darin. Vielleicht hatte sie in ihrem Stundenbuch eine Botschaft für ihn hinterlassen. Aber er konnte es ja nicht entziffern, außerdem hatte er es Philipp anvertraut, weil der einen Ratsherren befragen wollte, der sich mit Geheimschriften auskannte. Dieses vermaledeite Stundenbuch, nach und nach kam ihm in den Sinn, dass sie es absichtlich hinterlegt hatte, um ihn zu erbosen. Er schob das Bett weg und lugte in die Ritze zwischen Boden und Wand. Da lag etwas. Er stocherte mit dem Dolch herum und fädelte mit der Dolchspitze den Ring heraus. Das würde sie büßen.

5. Die Tabakspfeifen
    Noch vor der Prim passierten sie das Jakobertor und Augsburg lag hinter ihnen. Konrad Heß, der Student, war zum Glück nicht sehr gesprächig, oblag bald nach der Begrüßung dem Geruckel und Geschuckel der Kutsche und schlief an die Kutschwand gelehnt. So konnten sie ungestört reden. Barbara vertraute Anna an, dass es sie am meisten schmerzte, kein Kind zu haben, sie leide eben an der Wäscherinnenkrankheit, sagte sie. »Durch die Seifen- und Laugendämpfe tagaus, tagein, blieb meine Monatsblutung oft aus. Wahrscheinlich kann ich gar keine Kinder bekommen.«
    Anna verschwieg, dass sie schon seit zwei Monaten nicht mehr blutete.
    »Wie ist es dir eigentlich gelungen, aus dem Kloster zu kommen?«, fragte Barbara.
    »Ohne Gewalt, Zauberei oder Teufelsgespinst.« Anna lachte. »Schwester Hildegard hat geahnt, dass ich vorhatte zu fliehen. Dem aufgeblasenen Geck, Canisius, wollte sie schon lange mal eins auswischen, hat sie erklärt.« Aber bei Bianka hatte sich auch Hildegard versündigt, das verschwieg Anna.
     
    Mittagsmahl hielten sie in Zusmarshausen, in einem Gasthaus an der Landstraße. Die Schankstube war leer und niemand nahm Anstoß an der kleinen Reisegruppe. Als sie wieder aufbrachen, sprach der Kutscher mit einem baumlangen, alten Mönch in schwarz-weißem Habit. Anna wandte sich schnell ab, nie mehr wollte sie mit einem Kuttenbruder zu tun haben. Aus dem Augenwinkel sah sie den Mönch, für sein Alter erstaunlich behände, auf sein Pferd aufsitzen und an ihnen vorbeireiten.
     
    Durch das Mahl gestärkt und vom Wein beschwipst, debattierten sie über die Kalenderreform. Konrad erklärte, dass die Astronomen einen Zeitüberhang errechnet hatten. Seit vierhundert Jahren hatte das Jahr drei Tage, zwei Stunden, dreiundfünfzig Minuten und zwanzig Sekunden zu viel und so verschoben sich stets die wichtigen katholischen Feiertage.
    »Minuten, Sekunden, was ist das?«, fragte Anna.
    »Eine Stunde hat sechzig Minuten und eine Minute sechzig Sekunden. Die modernen Uhren besitzen einen Minutenanzeiger, der in den sechzig Sekunden weiterrutscht«, erklärte Konrad. Sie hatte zwanzig Jahre nicht mehr an die Tischuhr gedacht, die Zeit an den Stundengebeten und dem Läuten der kleinen Katherinenglocke auf dem Hausdach gemessen. Die Uhr zu Hause hatte mehrere Ziffernblätter besessen, eines für die Stellung der Sonne im Tierkreis, eines für den Mondzirkel, eines für die Monatstage und eines für die Stunden mit nur einem Zeiger. Als Kind hatte sie versucht zu erspähen, wann der Zeiger sich bewegte und immer vorzeitig aufgegeben. Sie hatte geglaubt, solange sie die Uhr anstarrte, standen die Zeiger still, hüpften erst weiter, wenn sie sich abwandte.
     
    An der Grenze zur Pfalz mussten sie aussteigen. Die Wachen musterten sie und leerten Konrads Koffer, der wider Erwarten keine Bücher, sondern ein Dutzend Tabakspfeifen in allen Größen enthielt. Anna zeigte die kurfürstlichen Begleitpapiere und sie durften passieren. Als die Kutsche wieder anfuhr, umarmte sie Barbara. Konrad zog ein silbernes Fläschchen mit Rachenputzer hervor und prostete ihnen zu. In ihrem ersten Nachtquartier empfingen sie freundliche Herbergsleute. Und auch in den weiteren Tagen erschien es Anna, als würden sie erwartet. Man nickte wie selbstverständlich und bewirtete sie.
    »Alles Glaubensgenossen«, erklärte Konrad. »Meister Hörmann hat die Strecke gut gewählt.«
    Anna freute sich, dass er sie schon zu den Konvertierten zählte, vor acht Tagen war

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