Im Labyrinth der Fugge
Der Schaukampf begann.
Vater und Sohn Ortenburg, genau gleich gekleidet, vollführten ein Kunststück mit Pferd und Lanze, die Zuschauer gerieten in Verzückung. Philipp rutschte im Sessel hin und her, wie hatte er erwarten können, dass es dem Oheim gefallen würde, wenn er dasselbe wie er trug. Christoph war nicht sein Vater, so sehr er sich es auch wünschte. Sein Vater, Georg Fugger, war schwach, vergrub sich die meiste Zeit in sinnlosen Experimenten und kümmerte sich nicht, um die Geschäfte. Die ›Goldene Schreibstube‹, wie die Schaltstelle genannt wurde, besuchte er selten. Dabei waren die Fugger Berater des Kaisers und lenkten die Geschicke der Habsburger. Philipp hatte als Kind den Löwenkopf gestreichelt, der dort samt Fell auf dem Boden lag. Mit dem Erbe Anton Fuggers, einst reichster Mann des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, könnte sein Vater, stattdessen pulverisierte er lieber Steine und suchte in Büchern nach Zaubersprüchen. Ganz anders Oheim Christoph, auch er hatte zwar die Geschäftsübernahme des Fugger-Imperiums abgelehnt, aber er zog sich nicht in einem Turm zurück und verkroch sich zwischen Buchseiten. Ein Fugger, so hatte der Oheim gesagt, ist kein Schatten der Reichsführer, ein Fugger ist der Spiegel.
Die Vorstellung, gleich wann die Mächtigen in das Quecksilberglas sahen, ein Fugger wartete darin, gefiel Philipp. Doch diese Ansichten teilte sein Vater nicht. Der veranstaltete lieber Turniere wie ein einfacher Ritter. Dabei glich Lanzenkampf fast einem Historienspiel. Längst waren Feuerwaffen, die bis zu drei Schuss am Tag abgeben konnten, in Gebrauch. Hoffentlich stach Vater diesen Ortenburg bald herunter, damit es vorbei war. Philipp strebte nach mehr, nach dem Unerreichbaren. Wenn heute ein Kaiser in den Spiegel blickte, so würde morgen ein anderer, ein mächtigerer Mann ihn, Philipp Fugger, darin sehen, der die Geschicke lenkte. Eines Tages würde ihn keiner mehr abfällig betrachten oder maßregeln, sein Vater voran. Mit Verbitterung dachte Philipp an das Missgeschick, als er ihm zur Hand gehen sollte und einen kostbaren Bezoar zerbrochen hatte. Seine Schwester Anna hatte den Versuch noch gerettet, indem sie die ekelhaften Haarreste aus dem Inneren des Steins aufgesammelt und mit dem Gift vermengt hatte, zu welchem Zweck auch immer. Anna, immer nur Anna, dabei war sie doch nur ein Mädchen. Ob die Seherin vom Perlach recht hatte? Zu gern hätte er den Oheim nach der Kristallkugel gefragt, doch mit dem kindischen Gewand hatte er alles verdorben. Aber auch Christoph mit seinem mickerigen Bruder Ulrich würde eines Tages einsehen, dass ihm kein Schuh zu groß war. Dann müssten alle seine Launen aushalten, ob großzügig oder unerbittlich. Die Zubereitung des Morgentranks und die Befriedigung der Nacht würden über ihr Schicksal entscheiden. Ja, dieser Gedanke gefiel ihm am besten, die Befriedigung der Nacht. In der Herrentrinkstube, wohin ihn Vater seit seinem vierzehnten Geburtstag mitnahm, hatte er die Männer vom Städtischen Frauenhaus reden hören. Orientalische Weiber sollte es da geben, die kein Haar am Körper hatten und glänzten wie einbalsamiert. Wo genau ihnen die Haare fehlten, das musste Philipp noch herausfinden, sobald er ins Frauenhaus kam. Annas Körper und die seiner anderen Schwester waren bis auf das Kopfhaar sowieso glatt und glänzend. Ihn selbst juckte es seit neuestem in den Achseln und am Unterleib, dunkler Flaum spross da. Er konnte sich kaum vorstellen, dass das bei den Weibern, außer bei der drallen Küchenmagd, die sowieso von allem zu viel hatte, auch so war. Philipp sprang auf und jubelte. Sein Vater hatte in der ersten Runde dem Ortenburgischen den Helm vom Kopf gestoßen. Darunter kam ein hageres Gesicht zum Vorschein. Ein Wunder, dass dieser Graf sich noch auf dem Pferd halten konnte. Beide Ritter galoppierten erneut mit gesenkten Lanzen aufeinander zu. Philipp hob die Arme und wollte klatschen, nicht der Gegner brach zusammen, sein Vater kippte in einer Blutfontäne zur Seite. Die Menge schrie, Philipp erstarrte. Christoph und Ulrich drängten vorwärts, schoben ihn die Tribüne hinunter. Sie wollten zu ihrem Bruder.
Vater stirbt, Vater stirbt, war Philipps einziger Gedanke. Er ließ sich schubsen, seine Füße gingen von selbst, Brett um Brett, das Holzgestell nach unten. Er sah, wie Knappen Vater aus den Steigbügeln hoben. Sein Harnisch troff vor Blut. Weg hier! Philipp duckte sich und schlüpfte unter die Tribüne.
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