Im Labyrinth der Fugge
Zitternd kauerte er sich im Schlamm zusammen. Nein, das durfte nicht sein. Seit Langem wurde nicht mehr mit scharfen Waffen gekämpft. Hatte dieser heimtückische Ortenburg seine Lanze gespitzt? Vater trug doch ein Kettenhemd unter der Rüstung. Oder war er im Unterleib getroffen wurden? Philipp schauderte. Aber wenn …, aber wenn …, er schmierte sich Rotze ans Wams, Vater tot ist, das hieße, dass Philipp das Familienoberhaupt der Fugger-Lichtenstein war. Dann mussten alle nach seiner Nase tanzen. Er müsste ein Unternehmen leiten, Angestellte anweisen. Wenn er doch nur vorhin Oheim Christoph nach der Kristallkugel gefragt hätte, dann könnte er seine Zukunft darin sehen.
Auf den Brettern über ihm sprang jemand herum. Philipp erkannte kleine mit Pfauen bestickte Seidenschuhe. »Wir haben gesiegt, wir haben gesiegt«, rief der Junge. Es war der ortenburgische Balg.
9. Der Lochbach
»Graf Johann der Dritte von Ortenburg mit Freiin Euphemia von Spaur«, kündete der Aufseher das nächste Tanzpaar an und schlug mit Klöppeln verzierten Stock auf das Parkett. »Dem Sieger zur Ehre.«
Gedämpfter Beifall von Dutzenden behandschuhten Händen folgte und ging im Tusch der Musikanten unter.
Euphemia, dachte Anna. Jetzt wusste sie, wie das Mädchen von damals hieß.
Wie immer gab es nach dem Turnier ein Bankett im Tanzhaus auf der Kaisermeile. Anfangs wollte der Aufseher noch Ordnung unter die Tanzenden bringen. Er führte die Paare zusammen, ließ sie sich gegenüber aufstellen und gemächlich im Takt seines Stockes zu Pfeife, Dudelsack und Horn schreiten. Sidonia durfte zum ersten Mal am Geschlechtertanz teilnehmen. Anna und Virginia standen am Büfett und stopften sich mit Leckereien voll, sahen ihrer schönen Schwester voll Bewunderung zu, wie sie ein blonder Jüngling zum Schreittanz aufforderte. Bald wirbelten alle ausgelassen durcheinander, ohne Rücksicht auf den Aufseher. Anna hielt Ausschau nach dem kleinen Jungen der Ortenburgs, sie hätte ihn gern gefragt, wie er hieß.
»Ich habe ehrlich gedacht, Vater stirbt«, sagte Virginia, schleckte sich die Finger ab und griff zur nächsten Pastete.
»Ich auch. Meinst du, er und Graf Ortenburg hatten das ganze Spektakel abgesprochen?«, fragte Anna. Sie hob den ausgestopften Fasan an, darunter waren gefüllte Eier.
»Oder Vater wollte die Zuschauer verblüffen, nachdem keiner seiner Söhne Kunstreiten kann.«
»Wo sind eigentlich Philipp und Octavian?«, Anna suchte den Saal ab, der bis unter die Decke mit der Geschichte Augsburgs bemalt war. Sogar ein Porträt ihres Urgroßvaters Jakob gab es, wie er den Kaiser empfing, und an einer anderen Stelle war das Verhör mit Martin Luther, das 1518 ebenfalls in einem Fuggerhaus stattgefunden hatte, dargestellt. Weltgeschichte wurde von ihrer Familie geschrieben.
Ihr Blick schweifte von den verzierten Balken zu ihrem Oheim. Christoph Fugger fläzte genau wie beim Turnier in einem Sessel und schwang träge die Arme, um seine Reden zu unterstreichen. Sein Gegenüber, ein älterer Herr mit Backenbart, nickte nur stumm ab und zu. Auf dem Musikantenbalkon hoch über den Gästen entdeckte sie ihren Vater mit Oheim Ulrich. Sein Bruder blies die Schalmei und Georg zupfte die Laute, um nicht selber das Tanzbein schwingen zu müssen, wie Anna wusste. Ihn störte es anscheinend nicht, dass seine Frau mit einem Rehlinger tanzte. Seiner Turnierniederlage zum Trotz, genoss es ihr Vater sichtlich, die Zuschauer mit Schweinsblasen voller roter Farbe, die er am Harnisch befestigt hatte, geschockt zu haben.
»Komm, schauen wir, ob wir Sterne sehen!« Anna wollte Virginia hinauslocken, die Eier und Pasteten lagen ihr wie Backsteine im Magen und die Ohren dröhnten.
»Wir dürfen nicht allein raus. Erst letztes Jahr haben sie …«
»Ja ja, ich weiß … Ein Mädchen verschleppt und … danach in den Lochgraben geworfen. Ich will nur ein paar Schritte vors Tanzhaus zur Abkühlung, da sind überall Wachen.« Doch Virginia ließ sich nicht überreden. Auch wenn ihr Kleid schon beträchtlich spannte, wollte sie noch das süße Gebäck probieren. Also hüpfte Anna allein zwischen den Tanzpaaren durch, schaute dem Maler eine Weile zu, der unter dem Musikerbalkon die Anwesenden in Wachsplatten festhielt. Im Auftrag des Rates fertigte er ein Geschlechtertanzbild an, das im Rathaus aufgehängt wurde. Natürlich würden darauf Ehefrau mit Ehemann abgebildet sein, und alle würden brav nebeneinander schreiten, als gingen sie bei einer
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