Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
Vom Netzwerk:
kleine Ortenburg, der Kunstreiter. Mit aller Kraft gelang es ihr, ihn herauszuhieven. Sie kniete sich neben ihn und legte ein Ohr auf seine Brust. Doch ihr eigenes Herz schlug so laut, dass sie durch die nassen Kleider des Kleinen nichts vernahm. Die Brüder standen über ihr, wahrscheinlich überlegte Philipp gerade, ob er sie nicht auch in den Lochbach stoßen sollte.
    »Was steht ihr herum, holt Hilfe!«, brüllte sie und ihre Stimme überschlug sich.
    »Ist mir doch gleich, ob er verreckt«, erwiderte Philipp und verschwand im Dunklen.
    Das Gesicht des Kleinen war bleich wie der Mond, er hatte die Augen fest geschlossen. »Warum, Octavian?« Jetzt flehte sie.
    Octavian schwieg und starrte zu ihr herab.
    »Na los, geh schon«, schrie sie wieder. »Hole Graf Ortenburg, oder wenigstens einen der Bediensteten, beeil dich. Willst du etwa in den Kerker?« Anna funkelte ihn an.
    Octavian verschränkte die Arme. »Ich lass mir von einem Weibsbild nichts befehlen, was bildest du dir ein.« Er stampfte davon.
    Anna öffnete das blaugrüne Lederwams, schob dem kleinen Ortenburg das Hemdchen bis zum Hals, schüttelte ihn, massierte ihm die schmale, kalte Brust. Er musste leben. Ihre Brüder waren keine Mörder, das durfte nicht sein! Was sollte sie tun? Wenn sie Hilfe holte, würde der Kleine vielleicht wieder ins Wasser rollen. Sie musste ihn tragen und hob ihn hoch. Wie ein Eisklumpen fühlte er sich an. Sie umschlang ihn, versuchte ihn mit ihrem Kleid einzuhüllen und zu wärmen. Ihr Gesicht an seiner Wange gepresst, horchte sie. Er atmete, ganz leise zwar … Wie Albert roch er, das brackige Wasser des Lochbaches konnte seinen himmlischen Kinderduft nicht überdecken. Eine Mischung aus Schweiß von ständigem Herumgehopse, Honig und Erde. Sie holte Luft, drückte mit ihren Lippen den eisigen kleinen Kindermund auseinander und blies in ihn hinein. Ihr Atem strömte durch seine Nase wieder heraus. Sie hielt ihm die Nasenlöcher zu. Ihr Leben sollte in seinem bleiben. Wieder versuchte sie es und noch einmal. Bald hatte sie selbst kaum noch Luft. Da hustete er und spuckte Wasser. Er riss seine großen dunklen Augen auf, die Augen, die sie bei seiner Geburt schon gesehen hatte, und schloss sie wieder.
    »Nein, nicht«, schrie sie, drückte ihm schnell ihre Lippen wieder auf seinen Mund. Doch zu ihrem Erstaunen erwiderte er diesmal den Kuss. Anna fuhr erschrocken zurück.
    Er grinste sie an. »Noch mal, Anna, noch mal, bitte.«
    Anna stutzte. Dann musste sie lachen und weinen zugleich. Er lebte!
    »W-willst du mich heiraten, w-wenn ich groß bin, h-hoff-fentlich größer als du?«, fragte der kleine Ortenburg in ihren Armen. Seine blauen Lippen zitterten.
    »Kannst du gehen?« Anna stellte ihn auf.
    Seine Beine knickten ein, sie fing ihn auf.
    »Sa-a-a-g, wwwillst du mich heiraten, wenn ich groß bin«, fragte er wieder.
    Sie hauchte seine kalten Hände an und führte ihn zum Eingang des Tanzhauses. »Warten wir erst mal ab, wie groß du wirst«, lachte sie erleichtert.

10. Der Aussätzige
    Die Apostel schlugen ihm in den Magen, traten ihn in die Seite. Kellenbenz erwachte, doch die Schläge und Tritte hörten nicht auf. Stinkende, zerlumpte Kerle zerrten ihm die Schaube vom Leib und die Geldkatze vom Gürtel, wollten ihm die Schuhe von den Füßen schneiden, bis er sie freiwillig hergab und sie von ihm abließen. Er tastete nach der Wachstafel unter seiner Tunika. Sie war noch da. Auch das Lederband samt Anhänger baumelte noch an seinem Handgelenk.
    Barfuß musste er nach Hause humpeln. An einem Hauseck zwischen Perlach und Tanzhaus hockte ein Rausgeputzter. Seine weißbestrumpften Steckenwaden leuchteten den Weg aus der Gasse zur Kaisermeile. War der Bursche besoffen? Er sackte immer mehr zusammen, je näher Kellenbenz kam. Das war ja noch ein Kind. Es stach in Kellenbenz’ Innerem, so alt wäre sein Jüngster nun auch. Er klopfte ihm auf den Rücken. Als der Junge zu Husten anfing, zog er ihn hoch. Sauber war der nicht gerade. Dreckverschmiert bis zum Anschlag, steckte dieser Rotzlöffel in einer Miniaturschaube eines Patriziers. Das Bürschchen zappelte, wollte wegrennen. Vielleicht hatte er Bianka gesehen? Kellenbenz hielt ihn zurück, zerrte hastig die Wachstafel hervor und legte sie dem Jungen feierlich in die Hand. Kopfschüttelnd gab er ihm die Tafel zurück. Kellenbenz ließ von ihm ab und humpelte weiter. Diese reichen Sprösslinge gierten doch nur nach Vergnügungen und scherten sich nicht um das Fußvolk.

Weitere Kostenlose Bücher