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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Das Füßchen von Mechthild war es nur, mit den winzigen Zehen. Ihre kleine Schwester hatte sich im Schlaf gedreht und ihr ins Gesicht getreten. Völlig in das Bettzeug gewickelt, rang die Kleine nach Luft. Anna befreite sie, legte sie mit dem Kopf zurück auf die Kissen. Die Zweijährige grummelte leise, die Augen fest geschlossen. Sie schien nicht aufgewacht zu sein. Anna strich ihr die verschwitzten Haare aus dem runden Gesicht. Vor einer Woche war Mechthild erst von der Amme abgestillt worden. Die Amme musste sich nun um die neugeborene Maria kümmern. Seitdem tapste Mechthild jede Nacht zu Anna ins Bett. Anna schmiegte sich wieder an sie. Wie gut die Kleine im Nacken roch. Bald würde sie selbst ein Kind haben. Sie war im heiratsfähigen Alter, auch wenn die Monatsblutung noch nicht mehr war als ein paar Tropfen. Blut war Blut und Anna endlich eine Frau. Einmal im Monat musste sie nun Schenkelbinden anlegen, damit sie ihre wertvollen Kleider nicht beschmutzte. Sie bezweifelte, dass ihr Vater im Alchimistenturm, wie die Familie scherzhaft seine Studierzimmer im ehemaligen Wehrturm am Eck des Kleesattlergrundstücks nannte, einen geeigneten Heiratskandidaten für sie auskundschaften würde und einen alten Turnierkumpanen wollte sie schon gar nicht. Die meiste Zeit des Tages destillierte er mit Kolben und anderen Gerätschaften seine Gifte.
    »Es kommt auf die Dosis an, Anna«, hatte er ihr erklärt. »Gifte können heilen, wenn man sie hoch verdünnt.«
    Ihr Vater unterschied nicht zwischen Junge und Mädchen. Er bestand darauf, dass alle Fuggerkinder gleich unterrichtet wurden. Ihre Mutter jedoch erzwang, dass die Mädchen Fechten und Reiten gegen Sticken und Haushalten ersetzten. Anna hörte lieber ihrem Vater bei seinen ›Ignotum per ignotius‹-Vorträgen zu – er wollte Unbekanntes durch noch Unbekannteres erklären –, als ihrer Mutter bei der Ausgestaltung der Wohnräume zu helfen.
    »Er sieht dich doch gar nicht«, behauptete ihre Mutter. »Einerlei ob ein Hund oder ein Knecht ihm zur Hand geht, Hauptsache irgendjemand ist erpicht auf seine Gebräue.«
    Ihre Mutter glaubte, und das Gerücht hatte sich bis zum Turnier verbreitet, ihr Vater entwickele eine eigene Biersorte. Bier mochte die Gräfin zwar nicht, sie bevorzugte Liköre, aber eine eigene Fuggermarke oder besser Fugger-Lichtenstein, würde ihr gefallen. Deshalb duldete sie es, wenn Anna, statt den ewigen Lamenti über die richtige Gesindeführung zu folgen, in den Turm hinübereilte.
    »Cosa c’è di nuovo?«, quetschte sie ihre Mutter später auf Italienisch aus. Sie sprach in ihrer Muttersprache mit Anna, wenn sie über ihren Mann etwas rausfinden wollte, ohne dass es die Dienstboten verstehen sollten.
    »Niente novità«, gab Anna zur Antwort. Manchmal nannte sie auch den komplizierten lateinischen Namen eines seltenen Krautes, das Georg Fugger noch für den ganz eigenen Fuggergeschmack fehlen würde, bis Ursula zufrieden war. Wenn es nach ihrer Mutter ginge, müsste sie irgendeinen tattergreisigen Prediger heiraten, dessen Wangen sich höchstens noch beim Disput über Luthers Luzifer erhitzten. Pastorengattin sollte sie werden, am besten in Südtirol, der Heimat ihrer Mutter. Aber Anna wollte nicht fort aus Augsburg. Am liebsten würde sie in der Nähe ihrer Geschwister bleiben, ausgenommen vielleicht Philipp und Octavian. Wie oft hatten ihre Brüder sie bei Magister Weißfuß im Lateinunterricht verpetzt.
    »Die Anna konjugiert nicht. Sie malt Fantasiewesen auf ihre Wachstafel!«
    Nur ihr Vater duldete ihre Schöpfungen, freute sich sogar, wenn sie seine Notenblätter verzierte.
     
    Das Unterkleid klebte an ihrem Leib. Schwitzte oder blutete sie? Sie setzte sich auf. Nirgends ein dunkler Fleck auf der Matratze, soweit sie es im Dämmerlicht auf den hellen Laken erkennen konnte. Sie schluckte. Es stach wie von Splittern. Sie tastete ihren Hals ab. Auch außen schmerzte es. Sie brauchte etwas Abkühlung.
    Vorsichtig stieg sie über Mechthild, die wieder quer rutschte und sich zusammenrollte. Hoffentlich steckte sie sie nicht an. Auch wenn Mechthild über die ersten beiden Jahre gesund gekommen war, konnte eine Erkältung für ein Kleinkind den Tod bedeuten. Anna würde sich einen Kräuterwickel aus der Küche holen. Die Kälte tat gut, als ihre blanken Sohlen auf den Holzboden trafen. An der hängenden Talglampe entzündete sie einen Kienspan, schob den Stapel Büttenpapier auseinander, bis sie die Zeichnung vom Abend fand. Mit dem

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