Im Labyrinth der Fugge
aufgestellt waren, sah Kellenbenz, dass F gleich gegenüber in der Kleesattlergasse in einem großen, ummauerten Grundstück Einlass fand. Der langzungige Diener des Hohen Herrn bückte sich durch den spitzbogigen Türstock. Kellenbenz schüttelte sich, versuchte den Rausch zu vertreiben. Er war am Ziel, dort drinnen musste Bianka sein. Am liebsten wäre er gleich hingelaufen, hätte die beiden umgestoßen und wäre in das Haus eingedrungen. Doch schon war das Türchen zu und die beiden Männer verschwunden. Kellenbenz hastete hinüber, spähte in die Gasse und versuchte, die Tür zu öffnen. Weder Klopfer noch Griff waren da, nur ein kleines Schlüsselloch. Er stemmte sich gegen die Tür. Es knirschte im Gebälk. Schnell besann er sich. Wenn er die Tür aus den Angeln wuchtete, würden ihn wahrscheinlich die Wachen dahinter verhaften und er hätte Bianka für immer verloren. Zwischen Weinranken, die die gesamte Mauer bedeckten, prangte ein Lilienwappen. Jeder in Augsburg kannte dieses Zeichen. Ein Fugger von der Lilie wohnte hier. Seine Vermutung stimmte. Kellenbenz rannte das Grundstück entlang. Die Mauer war überdacht und unerreichbar weit oben befanden sich verglaste, ehemalige Schießscharten. Selbst wenn er die erreichen würde, konnte er sich nicht hindurchzwängen. Am Ende der Kleesattlergasse stand ein Wehrturm und in einem der oberen Fenster flackerte Licht. Die ganze Anlage schien ihre Wehrhaftigkeit zugunsten des neuzeitlichen, venezianischen Wohnprunks eingebüßt zu haben. Entweder hatten sie auf der anderen Seite eine Horde Bluthunde, die jeden, der versuchte auf dem Weinspalier über die Mauer zu klettern, zerfleischen würde, oder dieser Fugger fürchtete nichts. Dann würde Kellenbenz sein erster Widersacher sein. Seinen sechsundvierzig Jahren, den geprellten Rippen, morschen Knien und alles andere als einem biegsamen Rücken zum Trotz, würde er dem Fugger Angst lehren. Nur die Höhe machte Kellenbenz zu schaffen, seit er als Kind von einem Kirschbaum gefallen war. Doch er wagte es. An die erste Sprosse geklammert, zog er sich hoch. Sein ganzes Gewicht musste er mit den Händen halten und seine Füße in den breiten Bundschuhen fanden nur mit den Spitzen auf den schmalen Sprossen Platz. Spalierviereck um Spalierviereck zog er sich weiter nach oben. Bald rann ihm der Schweiß in die Augen, er mied es, nach unten zu sehen. Unter seiner linken Hand brach eine Sprosse. Er schrammte mit den Fingern an der groben Mauer entlang, rutschte ab. Seine Füße traten ins Leere. Er schwankte von der Mauer weg. Das Kopfsteinpflaster und die Kohlefeuer des Ankerwirtes waren winzige Flecken weit unter ihm. Schnell schloss er die Augen und schluckte gegen die Übelkeit an. Er trat in die Weinranken, Blätter umsegelten ihn, er erwischte den Weinstock, dann das Spalier dahinter und seine Beine fanden wieder Halt. Er schnaufte schwer, seine Fingerknöchel brannten, alles drehte sich. Doch der Weg hinauf war ebenso weit wie der hinunter. Also kletterte er weiter, so schnell wie möglich. Sprossen knackten, dann hatte er das Fenstersims in der Schießscharte erreicht. Wenn ihn nur niemand entdeckte! Schießscharte um Schießscharte schob er sich waagrecht weiter, bis er sich an der Traufe übers Dach ziehen konnte. Geschafft! Flach ausgestreckt und völlig außer Atem, lag er über dem Dachfirst und kniff die Augen zu. Erst als er sich wieder etwas erholt hatte, blinzelte er in den sternklaren Nachthimmel.
13. Der Faun
Jemand trat ihr ins Gesicht. Sie hörte ihren Wangenknochen knacken, wollte schreien, aber statt eines Tons, spuckte sie nur blutige Scherben aus. Wieder ein Tritt, diesmal gegen die Zähne. Sie griff nach dem Fuß, umklammerte ihn fest. Die Teufel lachten, gackerten ihr die Ohren voll. Mit der freien Hand schlug sie nach ihnen. Die Flatterwesen juchzten noch mehr. Ihre Bocksbärte wehten um grinsende Fratzen, die aus ihrem Leib oder Hintern wuchsen. Wieder holten sie Schwung aus der Luft, stampften mit ihren Hufen auf sie nieder. Das Feuer erlosch, Schwärze umgab sie. So viele Jahre später hatte Anna den Traum der Teufelsnacht noch in Erinnerung. Sie war keuchend erwacht in der Dunkelheit und hatte nicht gewagt, sich zu rühren. Die kleinen Dämonen tanzten im dunklen Himmel über ihr. Langsam beruhigte sich ihr Atem, auch die Geister verharrten, wurden im Schein der Talglampe zu Mustern im Baldachin ihres Bettes. Kleine weiße Würmer zappelten in ihrer Faust. Sie erschrak und öffnete die Hand.
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