Im Labyrinth der Fugge
Herrentrinkstube. Schlimmer als die Finsternis mit wirren Gestalten konnte das Urteil der Fuggerbrüder nicht sein. Aber da täuschte er sich.
12. Das Teufelsgehörn
Am nächsten Tag konnte sich Kellenbenz kaum rühren. Er taumelte zwischen Trägheit und Rausch dahin, verbrachte die meiste Zeit auf dem Strohsack in der Kammer oder dämmerte nach dem Melken gleich neben Liesl im Stall ein. An ihren warmen haarigen Bauch geschmiegt, hörte er ihrer Verdauung zu, als wäre es das Zwitschern des leuchtend gelben Vogels.
Ein heller Ruf weckte ihn, er rappelte sich hoch, wusste weder Tag noch Stunde. Bianka! Doch es war nur die Magd einer Kundschaft, die nach dem Flohpelzchen ihrer Herrin fragte. So verblassten seine Erkenntnisse im Tagwerk. Der Verlust des gestohlenen Geldes musste wieder reingeholt werden. Zwischendurch trieb er sich in der Nähe des Fuggerpalastes herum, wo sich die ›Goldene Schreibstube‹ befinden sollte. Dem Gerücht nach, war die Wandvertäfelung und das Schnitzwerk mit blinkendem Gold überzogen. Bis die Wächter ihn vertrieben, hoffte er dort seinen Auftraggeber zufällig zu entdecken. Die Nachbarn tuschelten hinter seinem Rücken, schwiegen, als er sich umdrehte und sie ansah. Keiner fragte nach seinem Befinden und nach dem Verbleib seines Kindes. Es war genau wie damals, als er von seiner Verurteilung zurückkehrte, nur dass diesmal die Wunde nicht im Mund, sondern tief in seinem Inneren brannte.
Anfangs durchsuchte er alles nach Bianka, vom Stall bis zum Speicher. Nach und nach schleppte er sich immer schwerer hinauf, sah nicht mehr in jeden Bottich und hinter jede aufgespannte Haut. Wenn er heimkam, stellte er sich oft nur müde an die steile Stiege und lauschte hinauf. Drang kein Geräusch zu ihm hinunter, warf er sich auf den Strohsack und hoffte auf einen traumlosen Schlaf.
Er zog die Wachstafel aus seinem Kittel. Das Bildnis war geschmolzen. Tief aus der Kehle brüllte er seinen Schmerz hinaus, und aus dem Stall antwortete Liesl leise meckernd.
An einem Freitag lieferte er mit seiner hölzernen Schubkarre Pelzwerk aus und versackte danach im Wirtshaus ›Zum Anker‹ an der Kaisermeile. Eigentlich mied er seit seiner Verstümmelung jede Schenke. Vermutlich hatte ein Ratsspitzel ihn damals dort belauscht und wegen seines Fluchens beim Stadtbüttel verpfiffen. Doch nun war ihm auch das gleich, sollten sie ihm ein Glied nach dem anderen ausreißen, ihn mit glühenden Zangen zwicken. Mehr konnte er nicht mehr verlieren. Zwölf Tage war Bianka verschwunden. Sein Verstand sagte, dass sie nicht mehr lebte, aber sein Herz widersprach ihm.
Nach Mitternacht leerte sich die Wirtsstube. Nur ein halbwüchsiger Mönch, der eine schwarze Kukulle trug, ein Milchbart noch, stierte in der Ecke zum Hinterausgang auf seinen Humpen Bier. Noch einer, der seinen Kummer im Gebräu des Ankerwirtes ertränkt, dachte Kellenbenz, und stand auf, um wieder Platz in seiner Blase zu schaffen. Als er zum Abtritt gehen wollte, sah er aus dem Tragekorb des Mönches ein Gehörn lugen, zwei gedrehte Schaufeln, die spitz zuliefen. Kellenbenz gab vor, ein wenig zu torkeln, stolperte und spähte genauer unter den Tisch. Ohne Zweifel, das war sein Wasti! Kellenbenz fiel jetzt auch auf, dass die schwarze Kukulle des Mönchs nicht aus grobem Wollstoff gemacht war, wie die der Benediktiner. Und auf der Tischplatte lag so ein breitkrempiger Hut, wie ihn auch der Pater auf dem Pesthügel getragen hatte.
»Kann ich Euch helfen?« Milchbarts Stimme klang tiefer als erwartet. Kellenbenz winkte ab, beeilte sich, hinauszukommen. Draußen überschlugen sich seine Gedanken, er hatte F gefunden!
Im Schankraum zurück ließ Kellenbenz ihn nicht mehr aus den Augen. Was hatte er mit Wasti vor?
Die Ulrichsglocke schlug. Endlich erhob sich F, wartete auf den zweiten Glockenschlag und nahm den Hut. Nun war sich Kellenbenz sicher, F war der Novize, von dem der Geistliche gesprochen hatte. Diese Tracht aus so feinem Tuch hatte er in Augsburg, wo es an jeder Ecke von Predigern wimmelte, noch nie gesehen. F schulterte den Korb und legte einige Kreuzer auf den Tisch. Kellenbenz folgte ihm, als er die Schankstube verließ und überlegte, ob er die Schubkarre mitnehmen sollte. Mit einem Holzrad über das Kopfsteinpflaster holpern, wäre zu laut. So ließ er die Karre im Hinterhof der Schenke. Außer dem Nachtwächter und ein paar Hübschlerinnen war kaum noch ein freier Bürger unterwegs. Im Schein der Laternen, die entlang der Kaisermeile
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