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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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frei, dessen Außenfassade auch schon bessere Tage gesehen hatte. Das Gold der geflügelten Löwen war abgeblättert und erinnerte an das schwarze Untier zu Füßen des St. Michael im Perlachturm. Philipp zwang sich, nicht weiter an zu Hause zu denken.
    Jedes Mal hoffte er, auf seinen Erkundungen einen größeren Flecken Grün zu entdecken. Aber von Nahem entpuppte es sich meist nur als Grünspanbemalung an den Häusern. Einen Garten gab es in ganz Venedig nicht, nur kastenförmige Häuser, die zur Wasserseite prunkten und sich nach hinten durch hohe Mauern verschlossen. Was hatte Faktor Rummel gelacht, als Philipp ihn am Tag ihrer Ankunft fragte, wo hier die Bäume seien.
    »Mein Junge, du gehst auf Wäldern, die ganze Stadt ist auf Pfählen gebaut.« Am liebsten wäre Philipp auf der Stelle aufgesessen und zurückgeritten. Was erdreistete sich dieser herausgefressene Wicht von einem Faktor, ihn, den Fuggererben, auszulachen. Lachen stand ihm nicht zu, ohne die Fugger, die die ganze Faktorei aufgebaut hatten, wäre er nur ein Handlanger der namenlosen Kölner und Aachener Kaufleute. Wenn doch wenigstens Philipps Stimme endlich tief blieb, viel zu oft stieg sie noch mitten im Satz zu einem Fisteln, das ihn verstummen ließ. Und auch sein Lachen, das er heimlich in der Kammer nach Art seines Vaters und der Oheime übte, klang noch wie das eines Schellenbaums.
    Oheim Christophs höhnisches Lachen würde er nie vergessen. An seinem letzten Abend zu Hause, als Philipp in die Herrenstube getreten war. Die Fuggerbrüder spielten Tricktrack. Christoph zog die Steine so schnell, dass Philipp Mühe hatte, ihnen mit den Augen zu folgen. Und dann würfelte sein Vater ein Pasch.
    »Ha ha, eine Wasserkur, ja, das tut deinen Söhnen gut«, lachte Oheim Christoph und behauptete, keine Lust mehr zum Spielen zu haben, nur deshalb würde Vater gewinnen. Seither lauerte das Lachen in Philipp wie ein dunkler Stachel. Erst viele Jahre später erfuhr er, dass Vater mit dem Pasch das Leben seiner beiden ältesten Söhne gerettet hatte. Damals glaubte er, wenn Christoph gesiegt hätte, hätte er als sein Erbfolger mit auf sein Schloss gedurft. Er sah sich schon in den Sälen lustwandeln und die Diener herumscheuchen.
     
    Er spähte in einen Mauerspalt. Steinfiguren, fast zugewachsen, wucherndes Gestrüpp, kahle Büsche und Bäume. Sein Herz schlug wild gegen seine Brust, als würde es ausbrechen wollen. Er hatte einen Garten gefunden.

21. Die Blutsäfte
    Anna öffnete die Lider einen Spalt. Farbtupfer tanzten vor ihren Wimpern. Sie kannte jeden einzelnen Fleck. Wie oft hatte sie, auf dem Bauch liegend, das Farbenspiel auf dem Fußboden vor ihrem Bett betrachtet. Das flirrende Sonnenlicht, das durch die bemalten Glasscheiben fiel und Muster auf den Boden malte. Sie hatte so die Zeit vor dem Aufstehen gedehnt. Um sich herum spürte sie keine Wand, sondern weiche Kissen – ihre Kissen –, und ihre Decke lag auf ihr. Keine Truhenwand hinderte sie daran, mit den Zehen zu wackeln, aber es fiel ihr schwer, sich zu bewegen. Sie sackte tiefer in ihr Bett, wollte schlafen … Doch da waren Stimmen. Sie zwang sich, die Augen aufzuhalten. Unter dem Kleidsaum ihrer Mutter lugten ihre bestickten Seidenpantoffeln hervor, Gerätschaften von Medikus Occo lagen auf einem Tischchen. Anna wusste es jetzt, sie war krank und Occo würde sie zur Ader lassen und ihr bittere Arznei einflößen. Oder hatte er es schon getan? Sie spürte keinen Schmerz in den Armbeugen, schmeckte nichts. Occo stand neben ihrer Mutter, sie sah seine schwarz-weiß gestreiften Kuhmaulschuhe und den Saum der Soutane.
    Pater Canisius! »Siebenhundertneunundneunzig Dämonen sind aus der armen Kreatur gefahren, meine liebe Gräfin.«
    Anna erschrak, wen meinte er? Etwa sie? Hatte sie doch länger geschlafen, oder war es gar kein Schlaf gewesen?
    »… und ihre Großmutter, eine scheußliche mit dem Satan verheiratete Hexe …«
    »Was war mit ihr?« Die Stimme ihrer Mutter hatte einen anderen Klang, viel mädchenhafter. Fast glaubte Anna, Sidonia spreche da. Doch da war auch noch diese Ungeduld in der Stimme, ihr schneller Atem, sie gierte zu erfahren, was mit der Großmutter geschehen war.
    Hatte Schellebelle eine Großmutter? Schellebelle … Der Horngestank nach verschmorten Haaren stieg Anna wieder in die Nase. Ihr wurde schlecht.
    »Noch unter der peinlichen Befragung buhlte sie mit ihrem Herrn und Meister und wurde schließlich verbrannt.«
    »Und habt Ihr ihre Enkelin dazu

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