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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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rutschte vom Weg ab, fing sich im Schilf, knapp neben dem Kanal. Fluchend zog er sich an einem abgebrochenen Pfosten wieder hoch. Er fischte nach dem geborgten Hut, bevor der auf dem Kanal fortschwappte. Philipp zitterte. Kein Wunder, er hatte heute noch nichts gegessen. Seit sie in diesem vermaledeiten Venedig angekommen waren, bekam er kaum noch einen Bissen hinunter. Sein Wams war ihm zu weit geworden und nur die angenestelte Schamkapsel hielt die Beinkleider noch oben. Sogar den Fuggerschen Siegelring musste er am Daumen tragen, damit er ihn nicht verlor. Eine schlimmere Strafe hätten sie sich für ihn nicht ausdenken können. Nur weil er einen Prostestantenbalg getauft hatte. An Tagen wie diesen wünschte er sich Octavians einfaches Gemüt. Seinem Bruder gefiel es hier. Er glaubte, dass Philipp sich das mit der Strafe einredete, Vater und die Oheime hätten sie nicht absichtlich in eine Wasserstadt geschickt. Hier war nun mal der Hauptsitz der Fuggerfaktorei, weiter nichts, und der beste Ort, um eine Kaufmannslehre zu beginnen. Außerdem schmeckte Octavian der italienische Fraß. Er vertilgte sogar Philipps verschmähtes Mittagsmahl, auch wenn er dafür sein Wams aufhaken musste. Ja, er würde selbst dem Galgen noch etwas Gutes abgewinnen, wenn die Henkersmahlzeit nur üppig genug ausfiel. Schau Philipp, durch die Schlinge kriegt man mal was anderes zu sehen, als das ewig gleiche Augsburg, würde er wahrscheinlich sagen. Immer fand er sich mit allem ab, darin war er Vater ähnlich. Klein beigeben und das Beste daraus machen. Mit einer Verkleidung war Philipp dem emsigen Treiben im ›Fondaco dei Tedeschi‹ entkommen. Tagaus, tagein ging es im deutschen Handelshaus zu wie in einem Bienenstock. Durch zwei Binnenhöfe lieferten die Barkenführer die Waren. Silber, Kupfer, Stoffe, Edelsteine und Gewürze, sortiert, verladen, verschifft, von einem Ende der Welt zum anderen.
    Kaufleute aus dem ganzen deutschen Reich hausten Tür an Tür in zwei Stockwerken und ihre Knechte nächtigten in den Gängen. Es herrschte ein Kauderwelsch der Dialekte, obendrein wurde noch das Italienisch seiner Mutter durch die schleppende Aussprache der Venezianer verunglimpft, als hätten sie fortwährend zähen Honig im Mund. Philipp sollte die doppelte Buchführung erlernen. Einnahmen, Ausgaben, alles zweifach erfassen, Zahlen, nichts als Zahlen. Am Vormittag brannten ihm schon die Augen und dröhnten die Ohren und wenn er nach draußen trat, erwartete ihn die trübe Sicht auf eine schwimmende Stadt.
    Da war es zu Hause mit den vielen Geschwistern noch besser gewesen, die hatte man wenigstens verstanden, sobald sie reden konnten. Wenn er nicht in Geschäfte unterwiesen wurde, musste er zum Lautenunterricht. Octavian übte fleißig, ja, er erging sich regelrecht in der Musik. So fiel es nicht auf, wenn Philipp nur tat, als zupfte er im Gleichklang mit. In den Briefen nach Hause gab er Octavians Fortschritte auf dem Gedärmbrett als die seinen aus. Im Gegenzug war sein Bruder froh, dass er die Schreiberei für sie beide übernahm. Er schien auch kein Heimweh zu haben, für ihn war alles Neue eine Herausforderung, die ihn frühmorgens aus dem Bett rollen ließ. Philipp drückte sich lieber noch in die Kissen, verschloss die Augen ganz fest und stellte sich Augsburg vor, wo er jeden Winkel und jede Gasse sein eigen nennen konnte.
    Er brach einen Schilfhalm und stieß ihn in den Schlamm. Etwas Schwarzes, Haariges trieb nach oben. Eine Ratte. Angeekelt wandte er sich ab, wickelte sich in den ungefärbten Kittel, den er aus dem Beutel eines Knechts genommen hatte. Nur so konnte er den Argusaugen Faktor Rummels entkommen. Der ständige Nebel machte die Lagune endlos, als wäre Philipp völlig abgeschnitten von der Welt. Wie so oft zur Mittagszeit schritt er am Ufer entlang bis aus dem Nichts eine Brücke auftauchte. Es quietschte in seinen Stiefeln und seine Zehen waren kalt. Obwohl sie nicht mal richtigen Schnee hier hatten, dabei hatte Oheim Ulrich von den Schlittenrennen geschwärmt, die er als Junge auf den zugefrorenen Kanälen gewonnen hatte. Dieser Winter war eine pisswarme Waschküchenbrühe. Wie mochte es erst im Sommer sein, wenn die fauligen Gewässer in der Hitze dampften? Unschlüssig, in welche Richtung er weitergehen sollte, hangelte er sich über ein wackliges Gerüst an einem halbverfallenen Haus vorbei und sprang auf einen Steg zur gegenüberliegenden Seite. Dort war der Nebel weniger dicht und gab die Sicht auf einen Palast

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