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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Mai 1521?«, fragte Ursula. Ihre Mutter kannte die Lebensgeschichte Luthers auswendig. Na ja, und jetzt wusste jeder hier, wann dieser Pater Geburtstag hatte. Dann war er fast vierzig. Canisius ging hinaus und sprach mit Severin. Er hatte auch den Diener ihres Vaters schon im Griff. Annas Blick traf den ihres Vaters, er zwinkerte ihr zu. Sogleich nahm seine Miene wieder den gleichmütigen Ausdruck an. Mit verschränkten Armen und übereinandergeschlagenen Beinen verharrte er, als würde er auf einen Bänkelsänger warten, der nach einem weiteren Instrument kramte. Albert lehnte schlafend an ihm, drückte seine Wange in Vaters bauschige Ärmel. Wie konnte er bei Mutters lautstarken Ausbrüchen nur schlafen? Vielleicht träumte er vom Turamichele. Kleiner Albert, ich habe heute Nacht einen Teufel in Menschengestalt gesehen, dachte Anna. Sie vergrub ihre Nase in Mechthilds dichten Haaren, sog ihren Duft tief ein. Hier waren sie alle, ihre Geschwister, ihre Eltern, sie würden sie beschützen. Auf den Rat seiner Brüder hatte Vater Philipp und Octavian gleich nach dem Vorfall mit Heinrich auf Bildungsreise nach Italien geschickt. Eigentlich sollten sie zusammen mit den drei kleineren Brüdern auf einen Hof bei Nürnberg zur Knappenausbildung. Doch Anna war es vorgekommen, als gäbe es da irgendeine Gepflogenheit in der Familie. Wenn es unangenehm wurde, erst mal aufsatteln. Reiste ihr Vater deshalb so oft? In Venedig besaß die Fuggerfamilie auch eine Faktorei. Eine Stadt im Wasser, das war also die Strafe für ein Menschenleben. Hoffentlich wurde Philipp jeden Tag daran erinnert, was er Heinrich angetan hatte, wenn er auf Venedigs Brücken lustwandelte. Wusste ihr Vater schon, was in der Küche vorgefallen war?
    »Wo warst du?«, flüsterte Sidonia.
    Anna überlegte. Sollte sie die Wahrheit sagen? Der Blick ihrer Mutter traf sie. »Im Bett«, wisperte sie zurück.
    »Anna nicht da.« Die Kleine schniefte. Anna streichelte sie.
    »Ja, Mechthild weinte, allein in deiner Kammer. Nun sag schon«, drängte Virginia.
    »Später«, erwiderte Anna. Das Licht des anbrechenden Tages fiel durch die Dachgaube und schluckte den Kerzenschein des dreiarmigen Leuchters, mit dem der Pater Anna in der Truhe geblendet hatte. Der Leuchter stand auf einem kleinen Tisch in der Mitte des Halbkreises, alle übrigen Tische waren an die Wand geschoben. Bisher war diese Stube mit der Dachschräge nur einige wenige Male als Teesalon für besondere Gäste genutzt worden.
     
    Canisius kam wieder herein. Anna presste die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien. Alle seufzten auf. Severin bückte sich unter dem niedrigen Türstock und zerrte Schellebelle mit sich. Was hatten sie mit ihrer liebsten Freundin angestellt? Sie trug noch immer das ausgebeulte Nachthemd, ihre schweren Brüste baumelten darunter wie ihre Zöpfe, ihre Pupillen rasten umher, das Gesicht rotz- und blutverschmiert. Sie hielt die Hände vor den Bauch.
    »Belle, aua«, flüsterte Mechthild und deutete auf die wundgescheuerten Handgelenke der Magd.
    War sie irgendwo festgebunden gewesen? Schellebelle wippte langsam von einem Fuß auf den anderen, hin und her, und ihre Lippen bewegten sich, aber es kam kein Ton heraus. Alle starrten die Küchenmagd an, als wäre sie ein Geist.
    Ursula sprang auf und legte der Magd ihr Tuch um die Schultern. »Kindchen, was haben sie mit dir gemacht?«, fragte sie die mindestens gleichaltrige Magd.
    Anna schossen wieder Tränen in die Augen. Doch sie musste sich beherrschen, ihr selbst war nichts geschehen, Schellebelle hatte gelitten und litt noch immer.
    »Schildere uns mal die Ereignisse der vergangenen Nacht«, sagte Canisius in die Runde, ohne die Magd anzuschauen. Sie reagierte nicht. Er stieß sie mit dem Ellbogen. Schellebelle stolperte ein bisschen nach vorn, fing sich und wippte wie vorher. Langsam rutschte das Tuch von ihren Schultern. Ursula wollte es ihr wieder umlegen, doch Canisius schob sie auf ihren Platz zurück.
    »Aber Pater«, Ursula setzte sich zögernd zu ihrem Mann. »Nicht vor den Kindern.«
    »Auch die Kleinen müssen das Ausmaß begreifen, Gräfin. Man kann den Beelzebub nicht früh genug ausmerzen.« Beelzebub, klang wie Brezelbub, dachte Anna. Auch der verkleidete Mönch hatte von einem Bäckergesellen in der Hölle gesprochen.
    »Severin«, Canisius wandte sich an den Diener, dem er bis unter die Achsel reichte. »Erzähle Er, was sich zugetragen hat.«
    Severin öffnete den Mund, sah auf Georg Fugger, räusperte

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