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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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und zertrat es.
    Vor sich hin brummend, stapfte er mit seiner Karre wieder zum Vordereingang und band den in eine Decke gewickelten Hirschkopf los.
     
    Zwei Kutscher unterhielten sich vor den Pferden. »Bei unsereinem ist es auch nicht anders. Von meinen acht sind noch drei am Leben.«
    »Die im Herbst geborenen, scheint mir, sind weniger robust«, erwiderte der andere.
    »Du meinst die im Herbst gezeugten! Mit dem Frühjahrssaft werden sie kräftiger. Meine vier sind alle gesund.«
    Kellenbenz trat mit seinem Bündel an den Kutschern vorbei. Auch andere Augsburger hatten sich an den Seiten des Haupteingangs zum Fuggergrundstück aufgestellt. Sie tuschelten, strafften sich, als eine Glocke im Dachgiebel des Herrenhauses läutete. Er lugte in das Portal. Dieser Pater vom Pestberg schritt, einen Pinsel schwenkend, durch den Garten, an den immergrünen Labyrinthen vorbei. Anstelle des breitkrempigen Hutes, mit dem ihn Kellenbenz kannte, trug er ein schwarzes Birett mit Quaste und bespritzte den Weg mit Weihwasser, als müsste er ihn säubern. Kellenbenz raffte den Hirschkopf an sich und lugte über die Köpfe der Augsburger hinweg. Messdiener trugen einen kleinen Fichtensarg. Zehn Kinder folgten ihm, das kleinste hatte gerade laufen gelernt, die älteste war erwachsen. Begleitet wurden sie von zwei Frauen, die ihrer Kleidung nach Zofen sein mussten. Der schwarze Trauerzug passte irgendwie nicht in den paradiesischen Garten. Der Pater trat aus dem Tor und bog um die Pfeiler, schritt zu einer blumengeschmückten Kutsche. Kellenbenz duckte sich hinter einer dicken Frau.
    »Getupft am ganzen Leib und rotes Haar, das bringt Unglück«, sagte die Dicke zu einer anderen. »Doch hoffen wir auf einen gnädigen Gott, der sich auch solchen erbarmt. Nicht mal die Mutter, vom Vater ganz zu schweigen, ist bei der Überführung dabei, wie traurig.«
    Was meinte sie damit? In Kellenbenz begann es zu rattern. Das Kind, das da gestorben war, war getupft und ohne Eltern gewesen, weil … weil …
    Erst starrte er wie versteinert auf das Geschehen, dann begann er zu schreien. »I-a-k-a.«
    Die Dicke wich entsetzt zur Seite. Der Sarg wurde auf den Wagen gehoben. Die Zofen geleiteten die Kinder zurück in den Garten.
    Kellenbenz schob sich zwischen den Leuten durch, das Gespann setzte sich in Bewegung. Er wollte hinterherrennen, doch jemand hielt ihn am Arm zurück, der Fuggerdiener. »Folge Er mir«, befahl er Kellenbenz.

35. Der Felsblock
    Canisius hatte den Geschwistern untersagt, mit zur St.-Anna-Kapelle zu fahren. Wie das erste Kind ihrer Eltern, das gleich nach seiner Geburt gestorben war, wurde Maria, namenlos, in der Gruft von Großvater Raymund beigesetzt. Mutter war im Dom und Vater in seinem Turm. Keiner stand den Geschwistern in ihrer Trauer bei. Wie sollten sie diesen Schmerz aushalten, allein, zurück im großen stillen Herrenhaus? Selbst Donna, in schwarzem Kragen und Oberteil, das Anna eigens noch für sie genäht hatte, schaukelte träge auf dem Leuchter im Salon. Anna fiel ein, was Schellebelle mit ihnen gespielt hatte, als die alte Kammerfrau gestorben war. Sogar Philipp und Octavian waren bereit mitzumachen. Mit gesenktem Kopf reichte Philipp Anna die Hand. Sie musterte ihn mit einem verstohlenen Seitenblick. Magerer war er geworden, hatte ihm der Tod der jüngsten Schwester so zugesetzt? Aber sein Blick war kalt und unergründlich wie immer. Ach, lass uns doch alle Fehden und das ewige Hickhack vergessen, dachte Anna und ergriff seine Hand. Es fühlte sich wie früher an, als sie zusammen durchs Labyrinth gelaufen waren.
    Jeder durfte einmal Maria sein. Albert war an der Reihe und stellte sich in den Kreis der Geschwister. Sie fassten sich an den Händen und drehten sich um ihn herum. Dazwischen kreischte Donna und sprang von einer Schulter zur nächsten. Sie sangen: »Wo bist du so lang gewesen, du Mägdlein im Rosenhain?«
    Albert erwiderte singend: »Bin im Stalle gewesen, lieb’ Schwesterlein. So warte auf mich, ich kehre bald heim.«
    »Was ist dein Kleid blu-u-tig, du Mägdlein im Rosen
hain?«
    »Mich trat das Rösslein mu-u-tig. liebes Brüderlein. So warte auf mich, ich kehre bald heim.«
    »Wann kommst du heim gezogen, du Mägdlein im Rosenhain?«
    »Wenn weiß kommt der Rabe geflogen, lieb Schwesterlein.«
    »Wann kommt der weiß’ Rab geflogen, du Mägdlein im Rosenhain?«
    »Wenn der Felsblock schwimmt in den Wogen, liebe Schwester und Brüderlein. Doch so lang ihr auch wartet, ich kehre nimmer

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