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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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unstillbarem Schmerz auf die Stelle zwischen Barett und Schultern ein.

39. Die Schlauaffen
    Canisius rief nach ihr. Schnell schob Anna den Anhänger in ihren Ausschnitt und ging mit klopfendem Herzen zum Wohntrakt zurück. Die ehemalige Dachkammer hatte der Pater zu einer Kapelle umbauen lassen, sogar eine eigene Sterbeglocke veranlasst und heute war sie zum ersten Mal geläutet worden. Anna setzte sich zu ihren Geschwistern in die frisch geölten Lärchenbänke. Mechthild rutschte gleich zu ihr und klammerte sich an sie.
    Im Singsang des glorreichen Rosenkranzes lösten sich die Laute des Kürschners, die in ihr noch dröhnten, langsam auf. Sie dachte daran, wie sie der Amme geholfen hatte, Maria für das Totenbett zu waschen. An Kindsblattern war sie gestorben und ihre Sommersprossen hatten sich wie Reibeisen angefühlt. Der rote Haarflaum hatte geleuchtet auf dem weißen Taufkleid, das nun Marias Totenhemd war. Ihr fiel auch wieder ein, wie sie Marias Händchen geöffnet hatte, um die Lebenslinie zu betrachten. Ein gleichmäßiger Bogen über der Handfläche, wenn man von den wundgekratzten Pusteln absah.
    Die Jüngste war gestorben, Mechthild und sie lebten noch, da hatte die Hellseherin nicht recht gehabt.
    »Ich lauf zu den Pferden und Tauben und sag ihnen, dass Maria tot ist«, flüsterte Albert am Ende des Gebets und entwischte Canisius, der sie zurück in ihre Kammern schickte.
    Anna hob Mechthild hoch, die, an sie geschmiegt, eingeschlafen war.
    »Ich will zu dir, Anna«, murmelte Mechthild und krallte sich an ihr fest. Anna trug sie in ihre Kammer. Sofort war Mechthild wieder hellwach, sprang auf Annas Bett herum, holte Donna aus dem Käfig und spielte mit ihr, während Anna nur zwischen den Kissen lag und in den Baldachin starrte. Sie ließ sich von Mechthilds Gehüpfe auf- und niederwippen.
    »Darf ich dir die Haare kämmen?«, fragte Mechthild nach einer Weile.
    »Meinetwegen.« Anna drehte sich auf den Bauch und genoss es, die Kopfhaut von kleinen Kinderhänden durchgeknetet zu bekommen, auch wenn es ab und zu ziepte. Donna wühlte ebenfalls in ihren Haaren, als würde sie Läuse darin finden.
     
    Der Anhänger, den der Kürschner verloren hatte! Sie richtete sich auf und zog ihn aus dem Ausschnitt.
    Das geschnitzte Äffchen glich Donna, sogar der kleine Kragen war angedeutet. Was hatte der Mann ihr sagen wollen, es klang wie ein Hilferuf. Au und weh oder Eck? Und dann Iaka, Iaka, was sollte das heißen?
    »Woher hast du das?«, fragte Mechthild.
    »Gefunden.« Anna kramte in ihrem Schmuck, warf das Lederband fort und fädelte den Anhänger an ein Goldkettchen. Das würde sie fortan um den Hals tragen wie Sidonia ihren Schlüssel.
    »Ich finde nie so was Schönes«, schmollte Mechthild.
    »Dafür lese ich dir was vor, wenn du jetzt schläfst.« Anna sperrte Donna wieder in den Käfig und schlug die Bettdecke zurück. Sie zog ein kleines Geschichtenbuch heraus, das handschriftliche Märchen enthielt, die ihr Vater von seinem Vater geschenkt bekommen hatte.
    »Vom Land der faulen Affen«, begann sie. »›In das Land der Schlauaffen möchte jeder gern ziehen, wenn er wüsste, wo es liegt. Ich folgte dem fußlosen Mann, der überlief ein schnelles Pferd und ein bitterscharfes Schwert, das eine Brücke durchhieb. Da sah ich einen jungen Esel mit einer silbernen Nase, der jagte hinter zwei schnellen Hasen her, und eine Linde, die war breit, auf der wuchsen heiße Fladen. Da sah ich eine alte dürre Geiß, trug wohl hundert Fuder Schmalzes an ihrem Leibe und sechzig Fuder Salzes …‹«
    Endlich schlief Mechthild und auch Donna nuckelte im Schlaf.
    Anna setzte sich an ihr Schreibpult. Auf vielen Blättern Büttenpapier hatte sie mit den Geheimschriftfragmenten experimentiert, aber immer noch nicht ihre Erinnerungen festgehalten. Zwar drängte etwas in ihr, alles aufzuschreiben, von der Teufelsnacht angefangen bis zu Marias Tod, doch der Silberstift verharrte vor dem unberührten Papier. Sie fand einfach keine Worte für all das. So brauchte sie auch nichts verschlüsseln. Mit einem Wisch fegte sie alle Geheimschriftbuchreste vom Pult. Aber zeichnen würde sie Maria, wie sie auf dem Totenbett ausgesehen hatte, durchsichtig, fast wie ein Engel. Sie goss Tusche aus dem Steinfass in das Rinderhorn.
    Etwas flog gegen ihr Fenster. Eine Taube? Donna erwachte kreischend in ihrem Käfig und Anna kippte das Fass vor Schreck um. ›Wenn weiß kommt der Rabe geflogen, lieb Schwesterlein …‹
    Zum Glück war

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