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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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knickste.
    Was war das für eine Familie, in der man den Kindern Schlafpulver geben musste, damit sie von den Schandtaten der Mutter keine Albträume bekamen? Aber nichts mehr denken, nichts mehr spüren, sich in ein Nichts fallen lassen, das wollte Anna nun auch. Sidonia versprach, sie bei Mutter zu entschuldigen und ging allein zum Rosenkranz hinunter. Anna und Virginia stießen mit ihren Bechern an, als wäre es feinster Likör. In Wasser aufgelöst, tranken sie das weiße Pulver und umarmten sich. Wankend stieg Anna in ihre eigene Kammer und wartete auf den hoffentlich traumlosen Schlaf, in dem auch kein als Bock verkleideter Toter wiederauferstehen würde.

49. Der Bär
    Aus groben Brettern war auf dem Perlachplatz eine große Bühne errichtet worden. Ganz Augsburg lief zusammen, jeder wollte den Kürschner sterben sehen, der den Mordanschlag auf den Domprediger verübt hatte. Deshalb fand die Schau auch nicht wie üblich zwischen Fischköpfen und Innereien auf dem Fischmarkt, sondern vor dem Rathaus statt.
    »Ein Geächteter soll er ohnehin schon gewesen sein, der nun die ganze Handwerkerzunft beschmutzt hat mit seiner Freveltat.«
    So hörte Kellenbenz die Leute reden, während er, geblendet vom Tageslicht, aus den Tiefen des Rathauskellers gezerrt wurde. Die Büttel verschafften ihm einen schmalen Gang durch die Menge, schützten ihn aber nicht davor, mit Unrat beworfen und bespuckt zu werden. Man hatte ihm die Arme vor dem Bauch gefesselt und die Füße mit Stricken zusammengebunden, sodass er nur in winzigen Schritten vorwärts kam. Doch auch der Dreck konnte ihn kaum mehr beschmutzen. Zwischen Ratten und Kot, übersät mit Prellungen, hatte er die letzten Tage in der Finsternis verbracht.
    »Gleich …, gleich …, gleich …«, murmelte er mit jedem Schritt. Gleich würde er die irdische Pein überstanden haben. Vor ihm waren die letzten Stufen hinauf zum Gerüst. Die Augsburger feuerten seinen Gang mit lautem Gegröle an, genauso, wie sie im Dom gezählt hatten.
    »Eins.«
    Er betrat die unterste Stufe des Schafotts, schwankte, kam aus dem Gleichgewicht, doch die Büttel rechts und links stießen ihn wieder gerade.
    Wenn er nur Margit wiedersehen könnte und seine Söhne, wie waren ihre Namen noch?
    »Zwei.«
    Roland und August, würden sie ohne Pestgeschwüre im Himmel auf ihn warten?
    »Drei.«
    Ach, wenn er sie alle kurz sehen dürfte, bevor er ins Fegefeuer hinabgezerrt wurde.
    »Vier.«
    Die letzte Stufe, mit der nächsten würde er auf dem Blutgerüst stehen. Er stolperte und fiel. Ein Blitz fuhr ihm vom Knie bis in den Schädel und ließ ihn laut aufkeuchen, auch die Menge stöhnte mit ihm. Die Büttel zogen ihn hoch, doch er konnte das Bein nicht mehr durchstrecken, ein Schiefer hatte sich ins Knie gebohrt. Er sah über viele Köpfe hinweg. Frauen, Männer, Greise und Ratsherren. Kinder auf den Schultern der Eltern, verschmierte Gesichter, aufgerissenen Münder, Fingerchen darin. Alle starrten zu ihm hinauf. Sogar ein Gaukler saß mit seiner kleinen Tochter auf seinem schaukelnden Seil, das er quer über die Menge gespannt hatte und betrachtete Kellenbenz’ Hinrichtung vom Logenplatz aus.
    Und Bianka, flatterte sie als Streuselkuchenengel bereits im Himmel?
    Zu Lebzeiten hatte ihm keiner dieser Leute geholfen und sein Sterben wollten sie genießen.
    Nehmt eure Kinder fort, hätte er am liebsten gebrüllt, ihr Gaffer und ergötzt euch nicht an meinem Leid! Er stöhnte, als ihn die Büttel auf einen Hocker zwangen und er sein Bein wieder abknicken musste.
    Da fiel sein Blick fiel auf den Perlacher Zwinger, der seitlich am Turm mit dem Turamichele angebracht war. Der Bär stand am Gitter und glotzte zu ihm herüber.
    Der oberste Ratsherr und Bürgermeister stieg auf das Gerüst und verlas den Richtspruch: »Item Er Gott zugemessen hat, die Allmächtigkeit Gottes beschnitten hat, die heilige Jungfrau Maria geschändet hat, den Stellvertreter Gottes auf Erden zu töten beabsichtigte, soll Er im folgenden an Leib, Leben und Gliedern nach Gelegenheit und Gestalt bestrafet werden.«
    Der Scharfrichtergehilfe rollte, begleitet vom Jubel der Menge, ein Wagenrad auf die Bühne. Das würde nach Kellenbenz’ Enthauptung zwischen Kopf und Rumpf hindurchgeführt werden, so verlangte es der Richtspruch.
    Kellenbenz drehte sich vom Bären weg und sah noch mal zu dem Gaukler. Da war doch, das gab es doch nicht …
    Auf einmal schien ihm das Herz aus der Brust zu springen. Bianka! Sie war groß geworden, ihr

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