Im Labyrinth der Fugge
geworfen, wenn sie abgegriffen oder zerbrochen waren. Ihre Mutter war die Marionette von Pater Canisius, und sie waren die Holzfiguren ihrer Mutter.
Sie lehnte sich an Virginia, die Raymund irgendein beruhigendes Lied in die Haare summte. Sie waren ein Holzpuppenhaufen mit durchtrennten Fäden, Lebensfäden, ging es Anna durch den Kopf.
»Welch Höllenspektakel.« Zuletzt stieg Philipp in die Kutsche. Albert wimmerte bei seinen Worten so laut, dass er verstummte und gegen die Kutschwand klopfte, damit sie anruckte. Bald war es stickig warm, es roch nach Schweiß und Angst und hüllte Anna ein, bis sie wegdämmerte. Doch sie schreckte immer wieder auf. Schellebelle stand mit verkohlten Armstümpfen vor ihr.
Rufe dröhnten wieder in ihren Ohren: »Lasst sie brennen, die Teufelshure und ihre Brut gleich mit!«
In der Kleesattlergasse wurde die Kutschentür aufgerissen. Die Dienerschaft geleitete die Kinder ins Haus. Anna wollte nicht noch mal von Severin berührt werden, sie duckte sich unter ihm durch und eilte zum Haus.
»Honigbrei für die Kleinen und warme Xocolatl für die Contesse auf ihren Kammern«, befahl ihre Mutter der Köchin im Hausgang und wandte sich dann an ihre Töchter.
»Ihr ruht euch eine Weile aus, ich sage der Gesellschaft, dass ihr unpässlich seid. Zum gemeinsamen Rosenkranz nach dem Nachtessen erscheint ihr aber. Die Kleinen belasst bei Celia.«
Die Bediensteten hatten die Tafel im Salon gedeckt. Philipp lief zu Oheim Christoph, der bereits eingetroffen war. Anna würgte, als sie den Festbraten roch. Schellebelles Tortur wurde noch gefeiert! Sie stürzte in ihre Kammer, schnappte Donna aus dem Käfig und lief zu ihren Schwestern hinauf.
Das italienische Küchenmädchen brachte ein Tablett mit poliertem Silbergeschirr und nun schlürfte Donna geräuschvoll die warme Xocolatl vom kleinsten Silberlöffel, den ihr Anna hinhielt.
Virginia tropfte das schwarze Gebräu in die Löcher der Spitzentischdecke auf dem Serviertisch, summte bei jedem Tropfen einen Ton. Nach einer Weile sprang sie auf. »Schaut her, das ergibt eine Melodie.« Sie tippte auf die Xocolatl-Punkte wie auf ein Notenblatt und sang dazu.
»Hör auf!«, schrie Anna. »Kannst du einmal still sein?« Sie bebte.
»Von dir lass ich mir das Singen nicht auch noch verbieten«, rief Virginia.
Anna fing zu weinen an. »Ihr wart doch auch dabei, habt es gesehen, was sie ihr angetan haben, was Canisius ihr angetan hat. Aber an alldem ist unsere Mutter schuld.« Sie warf den Silberlöffel in die Tasse, dass die Xocolatl überschwappte. Donna sprang kreischend in eine Ecke. »Ich hasse sie!«, brüllte Anna. »Ich hasse Mutter bis aufs Blut. Sie ist eine Hexe. Eigentlich sollte man sie verbrennen.«
Das Äffchen raste herum, floh auf den Vorhang. Virginia war mit offenem Mund verstummt und starrte Anna an. Sidonia legte den Arm um sie, Anna schlug ihn weg. Sidonia versuchte ihre Hände abzufangen, Anna schlug um sich. Sie trat den Tisch samt Geschirr um, Xocolatl spritzte auf die Goldtapeten. Sie warf die Stühle um, schlug auf die Truhen und riss an den Vorhängen. Donna sprang laut kreischend herunter und kroch unter den umgestürzten Tisch. Sidonia konnte Anna endlich fassen, umschlang sie.
»Schellebelle … war nicht besessen. Unsere … Mutter … ist besessen«, schluchzte Anna. Sie hustete, ihre Kehle hatte wieder Feuer gefangen. Anna würde sich selbst von innen nach außen stülpen, wenn sie ihre Freundin wieder zu Leben erwecken könnte. Erschöpft zog sie die Beine an und kauerte sich in Sidonias Armen zusammen. Sie schwiegen lange. Stimmen der Festgesellschaft drangen dumpf zu ihnen herauf, lachte da sogar jemand?
»Wisst ihr, wie der Höllenfürst aussieht?«, flüsterte Anna.
Sidonia stülpte die Zähne über die Unterlippe und äffte Canisius nach: »Weiche von mir, Satan!« Selbst diese Fratze entstellte ihr ebenmäßiges Gesicht nicht.
»Er hat einen Bart und stinkt nach seiner eigenen Pisse«, ergänzte Virginia. »Und er hasst Musik wie der Teufel das Weihwasser.«
»Sing bitte«, bat Anna Virginia und trocknete sich mit ihrem Rock die Tränen, »das Xocolatl-Lied.«
Und während Virginia das schwarze Lied sang, hockte sich Anna zu Donna, die sich auf der zerknüllten Tischdecke eingerollt hatte und streichelte sie.
Später brachte die Zofe einen Schlummertrunk für alle.
»Auf Anweisung von Medikus Occo, der auch unter der Festgesellschaft ist. Die Kleinen schlafen bereits«, sagte sie und
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