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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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hatte, an welche Frau von Graberg – ob an Annelie selbst oder an Elisa – der Brief gerichtet war.
    Annelie sah ihm nach, bis er im Dunst verschwunden und der See wieder glatt war. Erst dann bemerkte sie, dass sie den Brief unwillkürlich in ihren Händen zerknüllt hatte. Vorsichtig strich sie ihn glatt, öffnete ihn und begann zu lesen. Schon nach den ersten Zeilen wusste sie, dass er nicht für sie bestimmt war, doch ihre Neugierde war größer als das schlechte Gewissen. Während sie den Brief las, drehte sie sich mehrmals um, um zu sehen, ob jemand sie beobachtete, gar den Besuch des Fremden gesehen hatte, doch sie war allein.
    Zwei Mal überflog sie die geschriebenen Worte und wusste hinterher dennoch kaum zu wiederholen, was in dem Brief stand, nur, dass er von Cornelius war. Sie las ihn ein drittes Mal, erfuhr nun, dass er den Onkel zurück nach Deutschland geschickt hatte, dass dieser ihn aufs Gemeinste betrogen hätte. Nicht nur, dass er den Brief, den sie, Elisa, ihm vor längerer Zeit geschrieben hatte, einfach unterschlagen hatte. Obendrein hätte er ihm von ihrem vermeintlichen Tod berichtet – eine Nachricht, die ihn in tiefste Trauer gestürzt hätte. Doch der Onkel hatte nicht gewagt, das falsche Spiel bis auf die Spitze zu treiben – hatte zwar ihren Brief unterschlagen, aber ihn nicht vernichtet. Zufällig hätte er ihn gefunden und wüsste nun endlich, dass es ihr gut gehe und wo sie lebte.
    Annelies Blick fiel auf die letzten Zeilen.
    Er hätte kein Geld und müsste erst wieder etwas verdienen, schrieb Cornelius. Aber dann … dann würde er zu ihr kommen.
    Warte noch eine kurze Weile, schloss er.
    Was war eine kurze Weile? Eine Woche, ein Monat, ein Jahr? Vielleicht noch länger?
    Unwillkürlich erschauderte Annelie. Vorhin, als sie Jule um Hilfe gebeten hatte, hatte sie geglaubt, ihr Entschluss ginge nur sie und Richard etwas an. Nun kam ihr in den Sinn, dass sie ihn nie gefällt hätte, nie zu fällen gewagt hätte, wenn sie nicht insgeheim auf Elisa zählen könnte … die junge, kräftige, gesunde Elisa. Wenn sie nicht darauf hoffen könnte, dass Richard – wenn schon keinen Sohn – so zumindest bald einen Enkelsohn bekommen könnte.
    Warte noch eine Weile …
    Aber sie konnte nicht warten! Sie konnte nicht viele Jahre ins Land ziehen lassen, bis Elisa heiraten und Kinder bekommen würde! Das musste so bald wie möglich passieren! Wer sonst, wenn nicht ein Enkelsohn würde Richard dafür entschädigen, dass ihr eigener Schoß unfruchtbar blieb? Es würden nicht ihre sein, aber es musste Kinder geben – Kinder, die Richard voller Stolz heranwachsen sehen, die die Siedlung mit Leben erfüllen und die von ihr bekocht werden würden.
    Elisas Kinder.
    Elisas und Lukas’ Kinder.
    Auf Lukas musste sie nicht warten. Lukas würde sie lieber heute als morgen zur Frau nehmen.
    Annelies Blick huschte kein weiteres Mal über die Zeilen, die Cornelius geschrieben hatte. Stattdessen hob sie den Blick, fixierte starr den See und zerknüllte den Brief. Schweißnass waren ihre Hände nun, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Vorsichtig drehte sie sich in sämtliche Richtungen, sah, dass sie immer noch allein am See war. Zuerst wollte sie den zerknüllten Brief unter der Schürze verbergen, doch kaum hatte sie ihn eingesteckt, zog sie ihn wieder hervor.
    Sie zerriss den Brief in kleine Fetzen und warf sie in das Wasser. Kurz trieben sie auf seiner Oberfläche; sie konnte förmlich sehen, wie die Schrift zerrann. Dann trugen die Wellen sie fort und lösten das Papier auf.
    Nach einer Weile waren keine Spuren mehr zu sehen. Der See war so glatt, als hätte sie nie ihre Stieftochter um das Lebenszeichen ihres Liebsten betrogen und als hätte ihn nie ein Boot mit einem Fremden aus Valdivia durchpflügt.

    Annelie lugte durch den Fensterspalt, als Elisa heimkehrte. Das Dämmerlicht war trübe, aus dem Dunst, der über dem See waberte, war dichter Nebel geworden. Lukas war an ihrer Seite, doch er blieb kurz vor der Türschwelle stehen und verabschiedete sich von ihr.
    »Willst du nicht doch mit uns zu Abend essen?«, hörte Annelie Elisa leise fragen. Er schüttelte den Kopf, und kurze Zeit später huschte Elisa allein ins Haus.
    Rasch trat Annelie vom Fenster zurück und nahm der Stieftochter den Eimer Wasser ab, den diese mit sich schleppte.
    »Weißt du schon, was du tun wirst?«, setzte sie grußlos an.
    »Wegen der neuen Kanäle?« Elisa starrte auf ihre Hände. Sie hatte sie gewaschen, aber

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