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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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weiß doch, dass du’s noch nicht verschmerzt hast. Aber wenn du den Kummer erst mal loslässt, dann wirst du dich wohler fühlen. Im Augenblick siehst du furchtbar aus.«
    Annelie senkte ihr Gesicht unter dem prüfenden Blick. Wenn sie nur halb so bleich und elend war, wie sie sich fühlte, musste sie einen erschreckenden Anblick bieten. Der Gedanke, sich zu schonen, setzte ihr allerdings noch mehr zu.
    Sie wollte sich nicht schonen, sie wollte wieder teilhaben am Leben, ja, sie wollte wieder kochen! Doch sie fühlte nicht die Kraft dazu, und sie konnte den Geruch von Speisen nicht ertragen.
    Schwer ließ sie sich neben Jule auf den Holzstamm fallen.
    »Mir ist so übel …«, seufzte sie.
    »Bist du etwa wieder schwanger?«, fragte Jule.
    Annelie zuckte zusammen. Allein der Gedanke daran ließ sie erschaudern. »Gottlob nicht!«, entfuhr es ihr.
    »Diese Worte aus deinem Mund? Was ist mit deinem Wunsch, Richard einen Sohn zu schenken?«
    Annelie kaute auf ihren Lippen. Ja, der Wunsch war noch da; mühelos konnte sie die Vorstellung heraufbeschwören, wie sie im Sonnenlicht stand und ein kleines Kind in den Armen hielt und Richard erwartete, der vom Feld kam, die Sense geschultert …
    Nun, meist arbeitete Richard – wenn überhaupt – im Haus und nicht auf dem Feld, aber wenn er erst den ersehnten Sohn hätte, dann würde gewiss alles anders werden. Er würde entschlossener sein, tüchtiger, forscher. Ein Sohn würde ihn dazu bringen, aufzustehen, jeden Morgen, auch an den verregneten, windigen, kalten.
    Ja, das war ihr Wunsch – zumindest bei Tageslicht. Wenn sie sich in der Nacht hin und her wälzte, dann wünschte sie sich nichts, sondern hatte nur Angst, unglaubliche Angst. Angst, die sie zerfraß, die ihr Inneres aushöhlte, bis nichts mehr da war, kein Wünschen, kein Sehnen und auch kein Hoffen, dass es Richard besser ginge, nur die nackte Gier zu leben, zu überleben. Die Erinnerungen quälten sie, wie sie da blutend im Dreck gelegen hatte, unfähig aufzustehen und Hilfe zu holen, voller Furcht, dass niemand sie finden würde und sie elendiglich und allein zugrunde gehen müsste.
    Es war schließlich nicht das erste Mal geschehen, dass die Wehen sie überrascht hatten. Auch damals … auf dem Schiff … während des Sturms …
    Annelie schüttelte sich, obwohl ihr warm war.
    »Was ist mit dir?«, fragte Jule.
    Konnte sie in ihrer Miene diese Angst lesen, die sie nun schon seit Monaten verfolgte und die sie zu verheimlichen versuchte – vor den anderen, vor allem aber auch vor sich selbst?
    »Wie ich schon sagte«, murmelte Jule, als sie stumm blieb, »du solltest wieder kochen. Das ist doch deine größte Freude.«
    »Vielleicht«, murmelte sie, »vielleicht, aber …« Sie zögerte, dann brach es aus ihr heraus: »Aber Jule, ich glaube, ich werde nie einen Rhabarberkuchen backen.«
    »Wie?«
    »Ja«, sagte Annelie leise und blickte auf ihre Hände; sie ballte sie zu Fäusten, bis die Knochen spitz und weiß hervortraten. »Ich werde nie einen Rhabarberkuchen backen. Es gibt hier nicht die rechten Zutaten. Vielleicht werde ich andere Kuchen backen, Apfelkuchen oder solchen mit der Copihue-Kirsche, aber nie Rhabarberkuchen.«
    Jule sagte nichts.
    Mit einem Ächzen stand Annelie auf, ging wieder auf und ab. Mit jedem Schritt sackte mehr Blut aus ihrem Gesicht, wurde ihre Miene schmerzverzerrter. Aber sie konnte nicht still stehen … wollte es nicht …
    Der Entschluss überfiel sie nahezu. Wochenlang hatte sie ihn vor sich hergeschoben, hatte sich eingebleut, dass sie nur erst wieder zu Kräften kommen müsse, hatte sich krampfhaft ein Leben ausgemalt, von dem sie plötzlich wusste, dass sie es nie haben würde, weder hier noch an einem anderen Ort, weder jetzt noch in einer künftigen Zeit.
    Sie wollte Richard einen Sohn schenken, aber noch mehr wollte sie endlich von ihrer Angst befreit sein.
    »Ich fühle mich so elend seit dem … letzten Mal«, setzte sie unvermittelt an. »Ich habe Blutungen, jeden Tag. Ich glaube, ich würde eine neuerliche Schwangerschaft nicht überleben. Ich bin vielmehr sicher, ich würde daran zugrunde gehen. Und ich ertrag’s auch nicht noch einmal – dieses Hoffen, dieses Bangen und dann am Ende diese Enttäuschung.«
    Sie hatte erwartet, dass sie weinen würde, müsste sie jemals diese Worte sagen, doch die Tränen blieben aus, und ihre Stimme war erstaunlich fest.
    Jule blickte sie nachdenklich an. »Lass deinem Körper Zeit, zu genesen. Dafür muss

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