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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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noch lachen konnten.
    Die Erleichterung währte allerdings nicht lange. Das Kichern erstarb wieder, und die Kinder wurden von Tag zu Tag bleicher und schwächer. Lu und Leo ertrugen es stoisch, Ricardo ständig greinend – ein Laut, der Elisa, anders als in guten Zeiten, ungemein störte. Mühsam musste sie es sich verkneifen, ihn in ähnlichem Tonfall anzukeifen wie Resa ihre heulenden Töchter. Eines Tages jedoch hätte sie Ricardo liebend gerne greinen gehört – als er nämlich wie Lukas zu husten begann und keine Luft mehr bekam, um zu weinen.
    Er quälte sich noch mehr als sein Vater, spuckte schleimigen Auswurf aus und glühte schließlich vor Fieber.
    Bis zu diesem Moment hatte Elisa immer die Fassung zu wahren versucht, hatte Hunger und schlaflose Nächte durchgestanden, die Sorgen um den kranken Mann und die Kinder, doch als sie den von Krämpfen und Atemnot geschüttelten Lieblingssohn an sich presste und ihm nicht helfen konnte, brach sie in Tränen aus. »Was soll ich denn tun, damit er wieder gesund wird? Jule! Nun, sag doch etwas! Wie kann ich ihn stärken?«
    Annelie hielt ihrer Verzweiflung nicht stand. Hektisch stürzte sie zum Herd und begann dort, in einer Schüssel zu rühren, die – wie Elisa insgeheim vermutete – leer war. Barbara, die in den letzten Wochen oft zu Gast war, duckte sich hinter dem Webstuhl und arbeitete noch emsiger. Erst jetzt fiel Elisa auf, dass sie seit Beginn des Hungerwinters, ja, schon seit Taddäus’ Tod nicht mehr gesungen hatte.
    »Was soll ich denn tun?«, rief sie wieder. Sie schüttelte Ricardo leicht und klopfte auf seine Brust, in der Hoffnung, er könne dadurch besser atmen.
    »Jule, nun sag doch etwas!«
    Jule zuckte mit den Schultern. Obwohl ihr Blick von Ratlosigkeit verschleiert war, klang sie nüchtern wie eh und je, als sie sagte: »So ist der Lauf der Welt. Die Schwächsten und Kleinsten trifft es in Hungerszeiten zuerst.«
    Elisas Tränen versiegten. Mit blankem Entsetzen starrte sie von Jule auf ihr krankes Kind und wieder auf sie zurück, suchte schließlich Christines Blick – Christine, die doch sonst immer mit Jule stritt!
    Christine aber ließ Jules Worte unwidersprochen, trat nur zu ihr und strich dem kleinen Ricardo über das glühend heiße Köpfchen. Er hatte aufgehört zu husten, wimmerte nur leise. »Du musst jetzt stark sein, Elisa«, flüsterte sie.
    In Elisas Ohren klang es, als wäre er schon tot. Hastig zog sie das Kind unter Christines Händen weg, als wäre deren Berührung gefährlich.
    »Ich lass nicht zu, dass er stirbt! Nicht Ricardo!«, schrie sie. Erst nachdem ihre Worte verklungen waren, ging ihr auf, wie grausam sie klangen, verhießen sie doch, dass sie den Tod von Lu oder Leo viel leichter hingenommen hätte. Selten hatte sie so unverhohlen eingestanden, dass sie den Jüngsten am meisten liebte, und sie biss sich verlegen auf die Lippen, während weitere Tränen über ihre Wangen strömten.
    Annelie hörte auf, in der leeren Schüssel zu rühren. »Ich habe es schon einmal vorgeschlagen, aber ihr habt mir widersprochen. Ich meine, dass wir es nun trotzdem tun sollten – nämlich die Saatkartoffeln wieder aus der Erde graben. Anders stehen wir die nächsten Wochen nicht durch.«
    Elisa fühlte sich zu ausgelaugt und zu erschöpft, um über Annelies Vorschlag nachzudenken. Mit dem Vorwand, das Kind ins Bett zu bringen, floh sie aus der Stube. Ricardo dicht an sich gepresst, legte sie sich nieder, doch trotz ihrer Müdigkeit war an Schlaf nicht zu denken. Es quälte sie, wenn Ricardo hustete – und es quälte sie noch mehr, wenn er es nicht tat. War das nicht womöglich ein Zeichen, dass ihm sämtliche Kräfte schwanden, dass er irgendwann ganz zu atmen aufhören würde?
    Zwei Tage und zwei Nächte wich sie nicht von seiner Seite. Jedes Mal, wenn sie einnickte, fuhr sie alsbald wieder auf. Manchmal lag er lethargisch in ihren Armen, manchmal schwitzte er, manchmal wimmerte er, und am allerschlimmsten war es, wenn er etwas von Dämonen stammelte, die auf seiner Brust hockten.
    Elisa schlug mit ihren Händen um sich, zum Zeichen, dass sie sie verjagen würde. »Sie haben keine Macht über dich! Ich bin doch hier, Ricardo, ich bin hier!«
    Wenn sie ihn nur lange genug wiegte, schlief er kurz ein. Dann wieder boxte er wild um sich, als wäre sie nicht die beschützende Mutter, sondern eines von den dunklen Wesen, die ihn jagten.
    Obwohl immer wieder Menschen zu ihr hochstiegen, glaubte sie sich manchmal ganz allein

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