Im Land der Feuerblume: Roman
beobachten. Ihn und Barbara. Wie sie sich umarmten und aufeinander wälzten, wie sie sich küssten, als wollten sie sich auffressen, und wie sie hinterher verschämt ihre Kleidung ordneten. Ja, das war lustig und faszinierend und ekelhaft und packend und abstoßend zugleich. Und es bereitete ihr eine diebische Freude, dass die beiden sie nie bemerkten.
Ob Christine tatsächlich glaubte, dass Poldi nur in den Wald gegangen war, um Holz zu holen? War sie tatsächlich so blind?
Greta achtete darauf, dass kein Ast unter ihren Füßen knackte. Sie stellte sich vor, die beiden zu überraschen und Poldi in dem Augenblick vom Tod seines Bruders zu berichten, wenn er sich mit rotem Gesicht in Barbara schraubte und vor Lust schrie.
Gretas eigene Wangen röteten sich bei dem Gedanken. Doch was sie schließlich von den beiden hörte, war kein lustvolles Ächzen und Stöhnen, sondern ein lautstarker Streit.
Wie langweilig, dachte Greta enttäuscht.
Sie fand sie bei der üblichen Lichtung, gab sich jedoch nicht zu erkennen, sondern versteckte sich hinter zwei Bäumen. Poldi versuchte gerade, Barbara zu umarmen, aber die stieß ihn weg.
»Nicht! Nicht!«, schrie sie beinahe hysterisch. »Es ist nicht die rechte Zeit.«
Poldi runzelte die Stirn, ungeduldig und zermürbt. Wahrscheinlich hielt sie ihm das nicht zum ersten Mal vor.
Heuchlerin!, schimpfte Greta innerlich. Warum war Barbara überhaupt in den Wald gekommen, wenn sie ihn dann doch wegstieß?
»Seit Taddäus tot ist, scheinst du mich zu verachten«, klagte Poldi.
»Ich verachte dich nicht. Ich fühle mich nur schäbig, und …«
»Darf ich dich nie wieder umarmen, nie wieder halten?«
Barbara zuckte zusammen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es wieder so wie früher wird … wie früher werden darf«, murmelte sie hilflos.
»Barbara!«, rief Poldi eindringlich ihren Namen. »Barbara, bitte hör mir zu! Ich weiß, du fühlst dich schuldig … und wir haben uns ja auch schuldig gemacht. Und doch: Wir haben die Mapuche nicht hergelockt. Wir haben die Ernte nicht vernichtet. Wir haben weder Richard von Graberg noch deinen Mann getötet. Das alles war ein schreckliches Unglück, aber wir müssen irgendwie weiterleben. Und das kann ich nicht, wenn ich das Gefühl habe, nie wieder glücklich sein zu dürfen, nie wieder lachen zu können, nie wieder …«
»Mit mir kannst du nicht lachen!«, unterbrach sie ihn trotzig. »Ich hab’s verlernt mit Taddäus’ Tod.«
Greta ging in die Hocke, während Poldi unruhig auf und ab schritt. Eben noch hatte er verzweifelt geklungen, als er nun fortfuhr, wirkte er trotzig.
»Ich bin der jüngste Sohn; ich konnte mir immer am meisten erlauben, die meisten Frechheiten, die meisten Dummheiten. Nicht, dass meine Mutter sie mir alle nachgesehen hätte. Mir brummt heute noch der Kopf, wenn ich an ihre Ohrfeigen denke. Aber … aber insgeheim hat sie über meine Untaten gelächelt. Über Fritz und Lukas hat sie nie gelacht. Glaub mir, Barbara, wenn irgendjemand dir das Lachen wieder schenken kann, dann bin ich es, nur ich.«
Er war dicht vor ihr stehen geblieben. Barbara, das fühlte Greta deutlich, kämpfte darum, sich gleichgültig zu stellen. Sie hielt den Kopf trotzig gesenkt und zeigte kein Gefühl. Doch als Poldi sie am Kinn packte und sie zwang, ihn anzublicken, schluchzte sie auf.
Wie erbärmlich!, dachte Greta. So wenige Worte reichen, um sie zum Heulen zu bringen?
Die Tränen, die über Barbaras Wangen perlten, widerten sie an.
Zugleich dachte sie schadenfroh, dass auch Poldi bald weinen würde, wenn er erst erfahren hätte, dass sein Bruder krepiert war – wohl noch viel heftiger als Barbara.
Barbara würde Lukas’ Tod schließlich kaum bekümmern. Von allen Steiner-Söhnen wollte sie nur Poldi. Gierig war sie auf ihn – und irgendwie war auch Greta gierig darauf, die beiden zu sehen, wie sie sich auf der Erde wälzten. Sie musste nicht mehr lange darauf warten.
Barbaras Tränen weichten sämtlichen Widerstand auf. Kraftlos sank sie in Poldis Arme, als er sie zu sich zog und sein Kinn in ihre Haare vergrub.
Ewig schienen sie so verharren.
Nun macht schon!, dachte Greta ungeduldig.
»Ich habe es dir schon so oft angeboten«, erklärte Poldi. »Dass du bei uns lebst. Nicht bei Andreas und Christl. Resa braucht Hilfe mit den Mädchen.«
»Poldi, es geht doch nicht …«
»In unserem Haus wirst du nichts anderes sein als meine Schwiegermutter«, unterbrach er sie rasch. »Auch auf dem Feld und im
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